Unberuehrbar
nicht. Nur ihr Atem, zittrig undunregelmäßig, zeugte davon, dass sie die Schwelle zwischen Leben und Tod nicht endgültig überschritten hatte.
Kris sah zu Blue, die noch immer bei der zerstörten Tür stand. Blass und verstört sah sie aus, als begreife sie nicht ganz, was gerade vor ihren Augen geschehen war.
Dann aber trat sie entschlossen nach vorn und kniete sich an Elizabeths andere Seite, ohne darauf zu achten, dass das Blut am Boden ihre Hosenbeine tränkte.
»Red.« Ihre Stimme war leise, aber fest. »Lass mich das machen. Bitte.«
Kris warf ihr einen erstaunten Blick zu. So viel Selbstvertrauen kannte er nicht von ihr. Und er begriff im ersten Moment auch nicht, was sie überhaupt vorhatte.
Bis es ihm wieder einfiel. Cedric hatte es ihm gesagt, aber Kris hatte es über all dem, was inzwischen geschehen war, völlig aus den Augen verloren: Blue, obwohl sie eine Bluterin war, hatte eine Blutgabe, die sie nutzen konnte. Die seltene Gabe der Organischen Manipulation. Und auch wenn sie jung war und unerfahren – sie konnte heilen. Wenn es in diesem Raum jemanden gab, der Elizabeths Leben retten konnte, dann war sie es.
Kris lächelte unwillkürlich, obwohl dieses Lächeln sehr schief geriet. Welch eine Ironie!
Auch Red schien überrascht, aber er zog seinen Arm zurück, griff stattdessen nach Elizabeths Hand und ließ zu, dass Blue sich über das Mädchen beugte und ihre Hand auf dessen Stirn legte. Mit angespannter Miene verfolgte er, wie Blue die Augen schloss und tief durchatmete.
Zuerst geschah nichts. Zumindest nichts, was Kris oder Red hätten sehen können, abgesehen davon, dass Blues Atem ein wenig schneller ging, als müsse sie eine große körperliche Anstrengung bewältigen.
Dann aber, so langsam, dass es endlose Sekunden lang kaum wahrnehmbar war, kehrte ein wenig Farbe in Elizabeths bleiche Wangen zurück. Ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßiger, und fast glaubte Kris, ihr Herz zu hören, das in einen kräftigeren Rhythmus zurückfand.
Blue öffnete die Augen. Und als sie Red ansah, leuchtete ein Lächeln darin.
Auch Kris spürte, wie eine Welle der Erleichterung über ihn hinwegspülte. Elizabeth lebte, auch wenn sie noch immer nicht wieder bei Bewusstsein war. Diesen Verlust würde Red nicht auch noch verkraften müssen.
»Blue«, sagte er und lächelte. »Ich bin beeindruckt.«
Das Lächeln in Blues Augen erreichte nun ebenfalls ihre Lippen. »Sie kommt durch«, erklärte sie, und Kris hörte berechtigten Stolz in ihrer Stimme.
Red starrte noch immer auf Elizabeth hinunter, als müsse er sich versichern, dass sie wirklich nicht mehr unmittelbar vom Tod bedroht wurde – und dass sie tatsächlich noch immer ein Mensch war.
Vorsichtig stand Kris auf, stieg über Dorians schlaffen Körper hinweg und ging zu Red und Blue hinüber, um Red sanft eine Hand auf die Schulter zu legen. Red sah auf. Und obwohl sein Gesicht noch immer dunkel war vor Anspannung, konnte Kris nun endlich auch auf seinen Zügen die Erleichterung sehen. Ohne Elizabeths Hand loszulassen, warf er einen Blick über die Schulter zu dem Vampir, den er noch kurz zuvor ohne Zögern erschossen hatte. Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn. »Wer ist das?«
Auch Kris sah zu Dorian hinüber und zog nachdenklich die Brauen zusammen. Es konnte nicht lange dauern, bis er beginnen würde, sich wieder zu regen. Für den Moment mochten Reds Patronen ihn ausgeschaltet haben, zumal er bereits zuvorgeschwächt gewesen war. Aber einem so alten und mächtigen Konservativen wie Dorian vermochten selbst derartig präzise Schüsse auf Dauer ebenso wenig anzuhaben wie eine kleine Dosis vergiftetes Blut.
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, antwortete er ausweichend, als ihm bewusst wurde, dass Red ihn noch immer erwartungsvoll ansah. »Ein alter Rivale von Cedric, wenn ich ihn richtig verstanden habe.«
Red hob fragend die Brauen.
Doch er kam nicht dazu, nachzuhaken. Denn in diesem Augenblick erklang ein Geräusch von der Luftschleuse her – das Knirschen von Scherben unter festen Schuhsohlen.
»Sehr richtig«, sagte eine vertraute Stimme. »Dorian gehört mir.«
Kris fuhr herum, und auch die anderen beiden wandten ruckartig die Köpfe. Er hörte Blue heftig nach Luft schnappen. »Cedric!«
Auch Kris konnte kaum verhindern, dass ihm der Mund offen stehen blieb. Dort an der zerstörten Tür, das war Cedric – und doch war er es nicht. Die ohnehin schmale Gestalt war eingefallen, geradezu hager. Durch die sonst
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