Unberuehrbar
tust?«
Cedric hob die Brauen. »Ja, so könnte man es ausdrücken.«
Frei rang nach Luft. »Und das erzählst du mir
einfach so
?« Die Tasse in ihrer Hand zersprang mit scharfem Klirren. Heißer Tee verbrühte ihre Beine, und eine Scherbe bohrte sich in das weiche Fleisch zwischen Daumen und Zeigefinger. Keuchend vor Schmerz und Wut sprang Frei auf.
Cedric war reglos sitzen geblieben. Doch auch seine Miene war nun angespannt. »Setz dich wieder hin, Frei.«
»Ich denke nicht daran!« Frei ballte die Faust, ohne sich darum zu kümmern, dass sich die Scherbe dabei tiefer in ihre Haut grub. All die Schmerzen … Wie viele mochte es noch geben, die litten wie sie? Wie viele, die Cedric und seine Mitarbeiter gequält hatten, nur für ihre Wissenschaft? Wie viele, die nicht das Glück hatten, in der Station erwacht zu sein und vom großen Dr. Edwards persönlich wieder zusammengestückelt zuwerden? Und vor allem tat es weh, zu begreifen, dass Cedric sie nicht um ihretwillen hergebracht hatte. Er wollte nicht sie schützen, sondern sich selbst. Und diese grausame
Forschung.
Der Gedanke versetzte Frei einen Stich. Einen Stich, der tief ging.
»Ich fürchte, du verstehst die Situation nicht ganz.« Cedrics Blick war nun fast unheimlich eindringlich. »Du bist vielleicht gerade zwanzig Jahre alt, Frei, und deine Infektion liegt kaum ein Jahr zurück – also welche Grundlage hast du, über mein Handeln zu urteilen? Ich quäle Vampire oder Menschen nicht zum Spaß, das sollte dir wohl klar sein. Ich habe dich hierhergebracht, weil ich glaube, dass es vorerst die beste Lösung ist. Aber ich werde dich ganz sicher nicht zwingen, hierzubleiben und mir weiter zur Last zu fallen. Du kannst meine Hilfe annehmen oder es bleibenlassen, aber ich sage dir eins: Allein wirst du da draußen untergehen. Also überleg es dir gut.«
Frei presste die Lippen zusammen und starrte Cedric wütend an. In diesem Moment hasste sie ihn. Sie hasste den nüchternen Ausdruck auf seinem Gesicht, seine ruhigen Augen, die so tief in ihr Inneres sehen konnten und so viel von ihr wussten. Sie hasste die Art, wie er recht hatte. Es war zu grausam. Und doch so wahr. Sie wusste nichts von der Welt und wie man in ihr lebte. Alles, was sie kannte, war die dunkle Zelle, in der sie gefangen gewesen war, solange sie sich erinnern konnte. Aber davor musste es etwas anderes gegeben haben. Etwas, das mehr war als ein jämmerliches Versuchsobjekt!
Red September. Er wusste es. Er musste es wissen.
Frei holte zitternd Atem. »Wer bin ich wirklich, Cedric? Warum hast du mich nicht weggeworfen wie die anderen? Warum behältst du mich?«
Für einen Moment huschte Cedrics Blick zum Regal, wo vor etlichen alten Büchern ein Bilderrahmen stand, in dem dasFoto einer blonden Frau steckte. Dann sah er Frei wieder an. Täuschte sie sich, oder war sein Blick weicher geworden?
»Weil es zu spät ist, um dich in der Anstalt für noch nicht erwachte Progressive anzumelden«, sagte er, und seine Stimme klang plötzlich eigentümlich belegt. »Und zu früh, um dich allein zu lassen.«
Frei schluckte. Ihre Beine zitterten, ihre Finger bebten, die Schmerzen waren fast unerträglich – die Nachwirkungen der Experimente setzten wieder ein. Zu früh, um sie allein zu lassen, ja. Und das war
seine
Schuld.
»Werde ich denn jemals geheilt sein?« Sie brachte die Worte nur mühsam hervor. Die Wut erstickte ihre Stimme.
Cedric antwortete nicht gleich. Er sah nachdenklich in seinen Tee. Schließlich hob er den Blick, um ihr erneut mit dieser schrecklichen Gelassenheit in die Augen zu sehen. »Das kommt darauf an, was du unter ›geheilt‹ verstehst.«
Langsam ließ Frei sich zurück in den Sessel sinken. »Ich will keine Schmerzen mehr«, flüsterte sie bitter. »Ich will meine Erinnerungen zurück. Und ich will … wieder ein Mensch sein.«
Cedric seufzte ergeben, als hätte er diese Antwort befürchtet. »Dann solltest du wissen, dass das eine mit dem anderen nicht das Geringste zu tun hat.« Erneut flog sein Blick zum Regal. »Die Schmerzen kommen von den biotoxischen Rückständen in deinem Körper. Die kann ich restlos entfernen, und damit wäre das Problem behoben. Was deine Erinnerung angeht …« Er schüttelte den Kopf. »Die hast du verloren, weil du zum progressiven Vampir geworden bist. Niemand weiß bisher, warum das geschieht – das ist, nebenbei bemerkt, eins der Rätsel, die wir in White Chapel zu lösen versuchen.«
Frei verkrampfte die Hände im Schoß. Sie
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