Unberuehrbar
langen Blick zu, ohne mit dem Spielen aufzuhören. »Nimm den Tee ruhig in die Hand, Sterntaler. Er wärmt dann besser.«
Frei runzelte verwirrt die Stirn. »Sterntaler?«
Ein eigentümliches Lächeln erschien auf Cedrics Gesicht. Er senkte den Blick und spielte weiter, bis die letzten Töne des Liedes unter seinen Fingern verklangen. Erst dann sah er wieder auf. »Eine etwas makabere Version natürlich.« Sein Blick streifte das blutfleckige Nachthemd unter dem offenen Mantel, das Frei nun seit mehr als zwei Nächten trug. »Diese Sterne müssen ziemlich scharfkantig gewesen sein.«
Frei schüttelte den Kopf und griff nach einer der Tassen. »Du redest völlig wirres Zeug, weißt du das eigentlich?«
Cedrics Blick verriet nichts von dem, was er dachte. »Wenn du jetzt getrunken hast, dann fangen wir am besten gleich an mit den Erklärungen.« Er stand auf und wies auf eine Sitzgruppe aus altmodischen Polstermöbeln in scheußlichem Grün, die sich halb hinter hohen Bücherregalen versteckten. »Ich muss in einer Stunde in der Station sein, und ich möchte wirklich nicht zu spät kommen.« Ein paar Falten waren bei den Worten auf seiner Stirn erschienen.
Frei seufzte tonlos. Vermutlich, dachte sie, war es am klügsten, ihm vorerst einfach zuzuhören. Man konnte Cedric einiges vorwerfen – zum Beispiel, dass er immer wieder seltsame Anspielungen auf Literatur, Musik oder Malerei machte, die heutzutage wirklich niemand mehr kannte oder verstand –, aber dass er um den heißen Brei herumredete, gehörte nicht dazu. Im Gegenteil. Er konnte geradezu brutal direkt sein, das hatte Frei in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft schon herausgefunden.Sie folgte also seinem Wink und trug ihre Tasse mit dem Tee behutsam zu einem der Sessel hinüber. Cedric hatte recht, die Wärme tat wirklich gut. Und auch der Geruch war alles andere als unangenehm. Das leichte Aroma beruhigte ihre Nerven.
Cedric klappte den Deckel über die Tasten des Flügels. Dann kam er ebenfalls zu der Sitzgruppe hinüber, um sich gegenüber von Frei auf ein Sofa mit geschwungenen Beinen zu setzen. »Also«, begann er, »die Sache ist die: Es hat gestern in White Chapel eine Veränderung im Personal gegeben. Wir haben einen neuen Biotechniker: Dorian Keaton. Er ist eine Art alter Bekannter von mir, nur leider kein guter. Ich halte es für besser, wenn er nichts von deiner Existenz erfährt. Vor allem nicht, dass du ein Versuchsobjekt warst. Darum bist du jetzt hier.«
Frei runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht. Warum darf er das nicht wissen? Ist doch die Wahrheit.«
Cedrics Gesicht verdunkelte sich ein wenig. Für einen Moment schien er mit sich zu ringen, ob er ihr die Antwort wirklich geben sollte. »Wegen deines Zustands. Ich bin mir noch nicht sicher, was Dorian wirklich will, aber er ist nicht in White Chapel, um mir zu helfen – im Gegenteil.«
Er hielt inne, und Frei wurde bewusst, dass sie verwirrt aussehen musste. Vermutlich machte sie sogar ein wirklich dummes Gesicht.
Cedric schüttelte den Kopf. »Die genauen Zusammenhänge sind im Moment nicht so sehr von Bedeutung, mach dir darum keine Gedanken. Fest steht jedenfalls, dass dieser Mann alles versuchen wird, um mich schlecht dastehen zu lassen – und du, so ärgerlich das ist, wärst dafür ein äußerst nützliches Mittel zum Zweck. Dorian hat gute Verbindungen zu mehreren hochrangigen Politikern. Und unter denen gibt es einige, die White Chapel gern geschlossen sähen – vor allem natürlich bei denProgressiven, aber auch viele Konservative sind nicht gerade begeistert davon, dass wir Experimente an Vampiren durchführen. Wenn bekannt würde, was für Auswirkungen die Versuche auf den Organismus haben können, wäre meine Station in ein paar Wochen Geschichte.« Er legte auch seine zweite Hand um die Teetasse – mit einer Ruhe, die seltsam gezwungen wirkte.
Frei starrte ihn mit offenem Mund an. Im ersten Moment wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Sie fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen, und in ihrer Brust begann ein heißer Ball aus Zorn zu glühen. Sie wusste nicht, auf was für eine Erklärung sie gehofft hatte – aber ganz sicher auf eine, die zumindest ein bisschen persönlicher war. Und die vor allem ihre Schmerzen und die Mühe, die sie sich gab, nicht so abwertete. »Du meinst …
das
ist der Grund, warum du mich hier verstecken willst?«, brachte sie fassungslos hervor. »Weil jemand herausbekommen könnte, dass es Vampire verletzt, was du mit ihnen
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