Unberuehrbar
ein Plastikbeutel mit etwas, das aussah wie kleine, vertrocknete Zwiebeln. Als Frei das Zimmer betrat, drehte Cedric sich halb zu ihr um. »Ah, Frei. Guten Abend.« Er musterte sie aufmerksam. Falls er sie toben gehört hatte, ließ er es sich nicht anmerken. »Du bist früh wach, das ist gut.«
Zögernd trat Frei näher. »Was ist das?«
Cedric stand auf, rückte ihr den Stuhl zurecht, auf dem er eben noch gesessen hatte, und ließ sich anschließend neben ihr nieder. »Deine erste Aufgabe. Ich sagte ja gestern schon: Je früher wir anfangen, desto besser.« Er zog einen der Töpfe zu sich heran und grub mit Zeige- und Mittelfinger ein Loch in die Erde, bis sie bis zum Grundgelenk darin verschwanden.Dann wischte er sich die Hand an der Zeitung auf dem Tisch notdürftig ab und griff nach dem Beutel, um eine der Zwiebeln herauszuschütteln.
Verständnislos griff Frei nach dem Kärtchen, das unter der Tüte gelegen hatte. Schlanke Blumen mit langen, spitzen Blättern und blutroten Blüten waren darauf abgebildet. Etliche Sekunden lang sah Frei auf das Foto, ohne begreifen zu können, was das alles mit ihrem Gespräch vom letzten Morgen zu tun haben sollte.
»Gladiolen«, erklärte Cedric, »oder auch Schwertlilien. Sie sind angeblich ein Symbol für Charakterstärke.« Er lächelte schief. »Aber du kannst dir vielleicht denken, dass es nicht das ist, worum es hier gehen soll.«
Frei runzelte die Stirn. Nein, dachte sie, das sollte es nicht, zumindest hoffte sie das. Sie war nicht hier, weil sie Gärtnerin werden wollte, und auch nicht, um sich kryptische Vorträge über Blumensymbolik anzuhören. Zum Glück konnte sie sich bei Cedric wirklich kaum vorstellen, dass er auf so etwas aus war.
Cedric schloss die Hand um die Blumenzwiebel. »Deine und meine Blutgabe, Frei«, fuhr er fort, »ist die seltenste, die es gibt – und auch diejenige, die die größte Verantwortung mit sich bringt. Offiziell nennt man sie die Organische Manipulation, falls dich jemals jemand danach fragen sollte. Aber es lässt sich auch einfacher beschreiben: Wenn du diese Gabe beherrschst, beherrschst du das Leben. Deins und das von anderen.«
Frei starrte ihn entgeistert an. Wollte er sie veralbern? Solche Kräfte sollte sie haben? Aber Cedric sah keineswegs so aus, als wolle er sich über sie lustig machen. Im Gegenteil.
»Es ist wichtig, dass du von Grund auf begreifst, was für eine Macht du besitzt und wie ungeheuer notwendig es ist, sie absolut unter Kontrolle zu haben«, fuhr er fort. »Und zwar selbstdann, wenn man vom moralischen Aspekt absieht – oder von der Gefahr, dich selbst und andere zu verletzen. Gerade Vampire mit unserer Gabe unterliegen strengen Auflagen und Kontrollen, was den Einsatz unserer Fähigkeiten betrifft. Die Organische Manipulation ist selten, aber wir sind trotzdem längst nicht die Einzigen, die sie besitzen. Und es gibt unter uns einige, die darauf spezialisiert sind, den rechtmäßigen Einsatz von Blutgaben zu kontrollieren – und bei schweren Verstößen die Gabe des Straftäters zu löschen. Ich kann dir versprechen, dass das kein angenehmer Vorgang ist.« Er fuhr sich mit der freien Hand durch die Haare. »Um ehrlich zu sein, bin ich nicht sicher, ob es in deinem Fall nicht schon als Verstoß gilt, dass du überhaupt eine Blutgabe besitzt. Wie gesagt, ich wüsste nicht, dass vor dir jemals ein progressiver Vampir eine gehabt hätte.«
Frei schluckte mühsam. Cedrics Worte klangen bedrohlicher, als ihr lieb war. Die Gabe löschen. Nein, das hörte sich keineswegs gemütlich an, wenn sie bedachte, wie unangenehm selbst Cedrics Lähmung sein konnte. »Das heißt, du willst mir raten, vorsichtig zu sein.«
Cedric nickte. »Genau das. Denk lieber dreimal nach, ehe du deine Gabe einsetzt oder auch nur über sie sprichst, wenn andere Vampire in der Nähe sind.«
Frei konnte nicht anders. Sie musste lachen. »Also, die Gefahr scheint mir ja ganz unglaublich zu sein. Oder hast du vor, hier demnächst eine Party steigen zu lassen, um mich all deinen zahlreichen Freunden vorzustellen?«
Eine kleine Falte erschien über Cedrics Nasenwurzel. »Nein, Frei. Nicht direkt. Aber irgendwann wirst du dich mit der Welt da draußen auseinandersetzen müssen. Oder willst du dich ewig hier verkriechen und hoffen, dass Red September von allein zu dir kommt?«
Freis Lachen verblasste. Ja, natürlich, dachte sie. Er hätte ihrdas nicht sagen müssen. Sie musste sich auf die Suche machen, und zwar bald, das war ihr sehr
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