Unberuehrbar
plötzlich sehr still. Langsam hob sie den Blick.
Cedric saß noch immer auf seinem Stuhl, als wäre nichts geschehen. Er hatte sich zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. »Ich meine mich zu erinnern«, bemerkte er trocken, »dass ich etwas von Vorsicht erwähnt habe.« Er schüttelte leicht den Kopf. »Noch mal von vorn.«
Frei starrte auf das faserige Häufchen hinunter, das von der Zwiebel übrig geblieben war. Ihre Beine zitterten heftig, und sie sank auf die Knie. Frustrierte Tränen brannten hinter ihren Lidern. »Ich habe sie getötet«, flüsterte sie.
Cedric nickte. »Sehr gut erkannt.« Er stand auf, ging um den gestürzten Tisch herum und fischte den Beutel mit den Zwiebeln aus dem Trümmerhaufen. Dann hielt er Frei die Tüte hin. »Also. Ich denke, dir wird es heute Nacht nicht langweilig werden.«
»Nein!« Mit einem wütenden Laut schlug Frei ihm den Beutel aus der Hand. Die Zwiebeln verteilten sich über den Fußboden. »Ich … ich kann das nicht! Ich werde sie alle umbringen!«
Cedric hob die Brauen und musterte sie kritisch. »
Ich kann das nicht
ist eine Formulierung, die du dir unbedingt abgewöhnen solltest. Natürlich kannst du es noch nicht, deswegen sollst du es ja üben. Du weißt jetzt, worauf es ankommt. Nun musst du lernen, dieses Wissen anzuwenden.«
Frei schlang die Arme um ihre Brust und kauerte sich in der feuchten Erde zusammen. Sie schwitzte und zitterte inzwischen am ganzen Körper. »Du hättest es mir sagen müssen …« Ihre Stimme brach. »Du hättest das nicht zulassen dürfen!« Die letzten Worte drangen als erstickter Schrei über ihreLippen. Warum? Warum war sie bloß so? Sie zerstörte immer alles … Frei vergrub die Finger in den Haaren und zerrte daran, bis es schmerzte.
Monster. Bösartiges, grausames Monster!
Eine Hand griff nach ihrer und löste mit sanfter Bestimmtheit die verkrampften Finger. Als Frei aufsah, blickte sie in Cedrics ernstes Gesicht.
»Ich denke«, sagte er ruhig, »du bist zu hart mit dir selbst.«
Frei presste die Lippen zusammen und schwieg. Die ersten Tränen tropften zwischen die Erdklumpen vor ihren Knien. Was wusste er denn schon, dachte sie wütend. Was wusste er davon, ein Monster zu sein …?
Cedric seufzte leise. »Sieh mal, Frei, du musst das nicht allein tun. Ich bin hier und helfe dir. Es ist nur eine Pflanze. Sie hat kein Bewusstsein und kein Schmerzempfinden. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen.«
Frei atmete mühsam ein und wieder aus. »Aber …« Ihre Stimme fühlte sich noch immer brüchig an. »Ich habe gespürt, dass sie lebt! Und ich habe sie umgebracht!«
»Ich weiß. Ich weiß, es ist schwer.« Ganz leicht strichen Cedrics Finger über ihre Wange. Warm und behutsam. Die Berührung tat Frei gut, als würde er mit den Tränen einen Teil der brennenden Schuld von ihrer Haut wischen. »Du wirst schon lernen, deine Kraft zu kontrollieren. Mach dir nicht zu viele Sorgen. Das haben noch ganz andere geschafft.«
Noch Sekunden zuvor hätte Frei ihn für diese Worte bitter ausgelacht. Aber jetzt, wo er sie so ruhig und freundlich ansah, konnte sie nicht. Das hatte er nicht verdient, egal, wie enttäuscht sie von sich selbst war.
»Tut mir leid … wegen dem Teppich«, murmelte sie kleinlaut.
Cedric warf einen kurzen Blick auf den hässlichen braunenFleck, der den Boden vor der Fensterfront zierte. Dann hob er leicht die Schultern. »Halb so wild. Meine Reinigungsfachkraft kommt morgen früh.« Er stand auf und klopfte sich die Erdkrümel von der Hose. Dann streckte er Frei die Hand entgegen. »Na komm. Es wird niemals besser werden, wenn du den Kopf in den Sand steckst. Das weißt du doch.« Er ließ seinen Blick über die verstreuten Zwiebeln schweifen. »Wenn ich das richtig sehe, haben wir noch etwa fünfundzwanzig Versuche – das sollte mehr als genug sein.«
Frei atmete tief durch. Hatte sie denn eine Wahl?
»Wenn du das bei deinem Red machst, bringst du ihn damit um.«
Nein, dachte sie. Niemals, niemals durfte sie das zulassen! Sie musste lernen, diese unheimliche Kraft zu kontrollieren. Um jeden Preis.
»Ist gut«, sagte sie und bemühte sich energisch, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Ich … ich pack das schon.«
Ein schiefes Lächeln erschien in Cedrics Mundwinkeln. Dann bückte er sich nach dem Plastikbeutel, in dem noch einige wenige Zwiebeln übrig waren, und drückte ihn Frei in die Hand.
»Aber natürlich«, sagte er freundlich. »Da bin ich mir ganz
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