Unberuehrbar
strömte der Atem flacher als gewöhnlich. Reglos hockte er auf dem Boden und bot seinen langen, weißen Hals völlig ungeschützt dar. Wartete geduldig, dass Hannah ihn nehmen würde. Wie sie es immer tat. Jede Nacht wieder.
Hannah atmete tief durch. Der Anblick der pulsierenden Halsschlagader zwischen den festen Muskelsträngen ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie wusste inzwischen viel zu gut, wie Eloy schmeckte, weil sie seit mehr als einer Woche von ihm trank. Sein kräftiges, etwas herbes Blut und das Salz auf seiner seidigen Haut. Sie wusste, wie sich seine Stimme anhörte, heiß und tonlos dicht an ihrem Ohr. Er sehnte sich nach ihr. Und auch sie konnte es kaum erwarten – obwohl er der Feind war. Obwohl er daran schuld war, dass dieser widerwärtige Franzose und seine deutsche Kollegin jede Nacht bei ihr auf der Matte standen und sich einfach nicht abschütteln ließen. In diesem Moment gehörte er ihr. Und das entschädigte sie für vieles.
Hannah ging in die Hocke und strich die Spitzen von Eloys im Mondlicht silbergrau schimmerndem Haar beiseite. Bei Tag war es goldbraun, auch das wusste sie inzwischen. Er war ein schöner Mensch. Viel zu schön, um es lange zu ertragen. Sie schloss die Augen, als sie ihre Lippen auf seinen Hals senkte.Seine Haut bot ihren Zähnen nur einen winzigen Widerstand. Würzige, satte Wärme durchströmte sie. Kräftige Arme umschlossen ihren Oberkörper, und sie ließ es geschehen, ließ sich nach vorn ziehen, bis sie auf Eloys Oberschenkeln saß, die Beine um seine Hüfte geschlungen. Sein Herzschlag dicht an ihrer Brust vermischte sich mit ihrem, bis sie eins waren, ein vollkommenes Wesen in zwei Körpern. Die Grenzen zwischen ihnen zerflossen, als Hannah sich tiefer in das feste Fleisch seines Halses verbiss und ihre Finger in seine Schultern krallte, bis aus winzigen Wunden warmes Blut hervorquoll. Ein Atem. Ein Puls. Ein Leben. Hitze brandete über sie hinweg, als seine heisere Stimme ihren Namen flüsterte. Mit keinem anderen Menschen hatte sie je eine so perfekte Verschmelzung erlebt. Sie hätte sich aufgeben können, völlig verlieren in diesem Leben, dieser rohen Kraft, die mit ihrer eigenen so vollständig harmonierte. Es wäre leicht, so leicht. Sie müsste nur loslassen …
Ein weiterer Herzschlag, dröhnend laut in ihren Ohren. Mit aller Willenskraft, die sie aufbringen konnte, riss Hannah sich von Eloy los und sprang auf die Füße, ohne darauf zu achten, dass sie ihn dabei trat. Sie wich zwei Schritte zurück, die Hände zu Fäusten geballt.
Langsam, fast zögernd öffneten sich Eloys Augen. In der glasklaren Iris sah Hannah eine seltsame Leere, als sei ihm etwas Kostbares entrissen worden. Und ein Lächeln, das ihr allein galt.
Hannah zwang sich, sich abzuwenden. Sie trat ans Fenster, hielt die schweren Vorhänge zur Seite und starrte hinaus in den nachtschwarzen Garten von Insomniac Mansion. Wie jedes Mal, wenn es vorbei war, war sie wütend auf sich selbst. Wütend, weil sie sich selbst so abhängig machte von diesem Menschen – und damit auch von seinem Mentor. Schrecklichwütend, weil es ihr auch noch gefiel. Sie war nahe daran, sich vor sich selbst zu ekeln. Aber aufhören konnte sie auch nicht.
»Hannah?« Sie hörte, wie sich Eloy hinter ihr aufrichtete. Seine tiefe Stimme war noch voll von dem erregten Rausch, aus dem Hannah ihn so jäh zurückgestoßen hatte. Doch er zögerte, näher zu kommen.
Hannah drehte sich nicht um. Sie biss die Zähne zusammen und starrte weiter aus dem Fenster, obwohl es dort draußen nichts zu sehen gab. »Danke. Ich hab genug. Hau ab. Und nimm dein Herrchen mit.«
Eine Weile blieb es hinter ihr still. Eloy sagte nie viel – abgesehen von ihrem Namen. Sie erwartete, dass er jetzt gehen würde, wie er es immer tat.
Stattdessen aber hörte sie seine Schritte, die sich näherten. Und dann lagen seine Arme um ihre Taille. Seine breite Brust presste sich gegen ihren Rücken.
»Tu das nicht«, flüsterte er rau. »Schick mich nicht weg.«
Hannah wurde steif wie ein Stock. »Was machst du da?«
Eloy antwortete nicht sofort. Sein heißer Atem streifte Hannahs Hals, als er den Kopf senkte. Seine Hände an ihrem Bauch waren schweißfeucht, das spürte sie sogar durch den Stoff ihres Shirts hindurch.
»Ich will nicht zu ihm zurück«, stieß er endlich hervor. »Er ekelt mich an.«
Hannah drehte sich ruckartig um, schob Eloy von sich und starrte ihn durchdringend an. Im Mondlicht war sein Gesicht fahlweiß,
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