Unberuehrbar
das war Cedric nur zu klar, konnten seine Verzögerungspolitik nicht im Geringsten nachvollziehen. Von außen betrachtet, sah ja auch alles gut aus. Die Prätests liefen mit Hilfe des neuen Biotechnikers wirklich hervorragend – Dorians langjährige Erfahrung und sein Fachwissen,was Biochemie und Laborarbeit betraf, zahlten sich aus. Und darüber hinaus verhielt er sich seit jenem letzten Gespräch in Cedrics Büro tatsächlich vorbildlich ruhig. Er kam pünktlich zur Arbeit und machte ebenso pünktlich Schluss, hielt sich an das Redeverbot und war alles in allem bemerkenswert friedlich und freundlich.
Doch natürlich war es genau das, was Cedric solche Bauchschmerzen bereitete. Natürlich fürchtete er, dass Dorian insgeheim sehr wohl einen Weg gefunden hatte, sein Team zu infiltrieren – auch ohne zu reden. Aber ganz gleich, wie genau er hinsah, selbst mit Sids eifriger Hilfe konnte Cedric ihm nichts dergleichen nachweisen. Er konnte Dorian nicht schon wieder beschuldigen, ohne massiv an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Und zu allem Überfluss konnte er das seinen Mitarbeiterinnen unmöglich erklären, solange er nicht sicher war, ob und wie stark sie wirklich unter Dorians Einfluss standen. Cedric war ihr Teamleiter, und sie hatten ihn herbestellt, damit er endlich eine klare Entscheidung traf, wie sie es von ihm gewöhnt waren. Aber Cedric konnte innerhalb der Wände von White Chapel nicht klar denken. Schon seit einer ganzen Weile nicht mehr.
»Du solltest endlich mit ihm reden.« Als Pei Lin ihre Stimme erhob, zuckte Cedric unwillkürlich zusammen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er schon seit etlichen Sekunden auf den Bildschirm neben dem Mikroskop starrte, ohne das Testergebnis wirklich zu sehen. Seine Assistentin saß neben ihm auf ihrem Schreibtischstuhl, ihre Hände lagen ungewohnt angespannt in ihrem Schoß. Cedric runzelte die Stirn. Aber er kam gar nicht erst dazu zu antworten.
»Er kann unmöglich vernünftig mit uns zusammenarbeiten, wenn du ihm nicht endlich erzählst, worum es eigentlich geht«, fuhr Pei Lin eine Spur zu hastig fort, ehe er auch nur darüber nachdenken konnte, was er erwidern sollte. »Ich meine, washast du nur für ein Problem mit ihm – abgesehen davon, dass er nicht Kris ist? Am Anfang war er ein bisschen merkwürdig, das gebe ich zu, aber er hat sich doch seither vorbildlich verhalten! Er ist klug, hilfsbereit und immer höflich, und er macht seine Arbeit gut – er ist sogar viel besser als Kris! Aber wie soll er uns helfen, wenn er nicht wissen darf, was wir tun? Ich verstehe dich einfach nicht!«
Ein nervöses Pochen breitete sich hinter Cedrics Stirn aus. Es war schlimmer, als er vermutet hatte. Viel schlimmer. Dass seine Assistentin ihre asiatische Zurückhaltung aufgab, war eine Sache. Aber so unverblümt mit ihren Ansichten herauszuplatzen hätte er zwar der impulsiven Janet zugetraut – doch keinesfalls Pei Lin.
Janet währenddessen nickte eifrig, als hätte sie nur darauf gewartet, dass das Thema endlich auf den Tisch kam. Ihre Augen funkelten. »Pei Lin hat recht. Dorian ist doch nett, Cedric! Und er gibt sich solche Mühe, alles richtig zu machen. Er beschwert sich nie, obwohl du ihn immer bloß die Drecksarbeit machen lässt. Schau – wir haben vierundsechzig positive Prätests. Wie lange willst du denn noch warten? Wir können die Infektion durchführen, darauf würde ich jede Wette eingehen. Und ich bin mir sicher, auch wenn Dorian noch nicht lange bei uns ist, wird es super funktionieren! Bitte, lass es uns versuchen. Du kannst uns doch vertrauen!«
Cedric lächelte gequält.
Ach, Janet,
dachte er müde
. Wenn du wüsstest, dass du mir gerade genau das Gegenteil beweist.
Es dauerte eine Weile, bis er sich zu einer Erwiderung durchringen konnte. Er wusste einfach nicht mehr, was er sagen sollte. Natürlich hatte er jeden Tag damit gerechnet, dass der trügerische Friede brechen würde – aber das machte es jetzt, wo es so weit war, kein bisschen leichter zu ertragen. Für den Moment war Cedric sich jedenfalls nicht sicher, ob ein Schweißausbruchoder Schüttelfrost die angemessenere Art der Überkompensation für seinen Körper wäre. Innerlich litt er an beidem zugleich.
Endlich schüttelte er langsam den Kopf. »Nein, noch nicht. Wir machen noch einen Test«, sagte er und hatte das Gefühl, dass seine Stimme seltsam mechanisch klang. »Wir haben erst vier Proben aus Gruppe F. Ich möchte da noch einen Prüfgang machen. Dann sehen wir weiter. Fangt
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