Unberuehrbar
gleich heute mit der Infektion an. Ich erwarte euch dann morgen um vier zum Bericht.« Er rang sich ein Lächeln ab. »Gute Arbeit bis hierher.«
Die Enttäuschung in Janets Gesicht war so schmerzlich, dass es Cedric in der Seele weh tat. Pei Lin sah er lieber gar nicht erst an. Ja, ihm blutete auch das Herz bei dieser Verschwendung von Zeit und Arbeitskraft. Aber was blieb ihm anderes übrig?
Ohne noch einen Blick auf den Monitor zu werfen, wandte er sich ab und verließ das Labor. Ein wenig übereilt musste sein Rückzug in diesem Moment scheinen, das war ihm bewusst. Aber das war ihm egal. Er musste hier raus, er musste dringend nachdenken. Er musste planen, wie er weiter vorgehen sollte – und er musste handeln. Heute noch. Ihm blieb definitiv keine Zeit mehr. Ihm blieb nur zu hoffen, dass es nicht schon längst zu spät war.
Die Lichter über den verriegelten Türen der Zellen im zweiten Stock waren im kalten Schein der Deckenbeleuchtung kaum zu erkennen. Zielstrebig durchquerte Cedric den Hauptkorridor in Abschnitt A – den Teil des Traktes, in dem die Versuchsobjekte untergebracht waren. Und, seit einigen Monaten, auch drei ganz besondere Menschen. Zwei Männer und eine Frau, die das seltene Wahre Blut in sich trugen und daher als die ersten konservativen Versuchsobjekte vorgesehen waren, die die Vampirgesellschaft je gesehen hatte.
Kris’ Abschiedsgeschenk.
Und, darüber hinaus, Menschen, die nicht nur Kris, sondern auch Red September gekannt hatten. Cedric hatte ohnehin mit ihnen sprechen wollen, doch sein ursprünglicher Plan war gewesen, zu warten, bis Frei wenigstens in einigermaßen passabler Verfassung war. Bis er sie so weit aufgepäppelt hatte, dass sie selbstständig seine Wohnung verlassen und Nachforschungen anstellen konnte. Damit er diesen Zustand jetzt schon als gegeben betrachten konnte, musste Cedric die Wirklichkeit aus einem sehr schiefen Winkel betrachten. Aber darauf musste er es jetzt ankommen lassen. Für Frei – und auch für sich selbst. Wahrscheinlich wussten die Menschen überhaupt nichts. Vielleicht konnten sie aber wenigstens sagen, wo sie mit ihrer Suche anfangen sollten.
Bevor er den Finger auf das Schlüsselfeld legte, um den Riegel zu entsichern, schloss Cedric ein letztes Mal die Augen und lauschte. Der Rest des Teams war bereits vor mehr als einer Stunde nach Hause gegangen – einschließlich Dorian. Cedric hatte Sid die gesamte Station noch einmal durchsuchen lassen, ehe er sein Büro verließ. Doch abgesehen vom Reinigungspersonal, das gegenwärtig die Flure des Erdgeschosses und den Eingangsbereich säuberte, war niemand mehr hier.
Mit einem Klicken erlosch die Sicherungslampe über der Tür. Ein letztes Mal atmete Cedric tief durch. Dann schob er entschlossen den Riegel zurück und betrat die Zelle.
Menschlicher Geruch schlug ihm entgegen. Hinter der Tür war es dunkel, und als sie ins Schloss fiel, verschwand auch der letzte Lichtschein, der vom Gang in den Raum gefallen war. Aber Cedrics Augen machte die Finsternis nichts aus. Drei Betten standen in der Nähe des Fensters und an den Seitenwänden des Raums. Die gleichen nackten Metallgestelle, wie sie überall in den Zellen zu finden waren. Und unter den weißen Deckenlagen die Menschen und verströmten ihren unverkennbaren, süßlich-schweren Geruch.
Ohne hinzusehen, tastete Cedric nach dem Lichtschalter, von dem er wusste, dass er sich neben der Tür befinden musste. Die Neonröhren unter der Decke zuckten und klickten – und im nächsten Augenblick erhellte weißes Licht die Zelle. Auf dem Bett am Fenster fuhr mit einem Schrei eine Frau in die Höhe und blinzelte unter einem wirren, mausbraunen Haarschopf zur Tür hinüber. Der scharfe Geruch nach Angstschweiß mischte sich in das schwere Aroma von Schlaf. Auch die anderen Menschen waren aufgewacht. Die beiden Männer richteten sich alarmiert in ihren Betten auf und starrten Cedric an, die Augen geweitet in einer Mischung aus Furcht, Verwirrung und Wut. Natürlich – sie hatten ihn bisher nicht persönlich kennengelernt. Und sie wussten auch nicht, was ihnen bevorstand. Dass es aber nichts Gutes war, das konnten sie sich mit tödlicher Sicherheit denken.
Behutsam schloss Cedric die Tür hinter sich. »Gute Nacht allerseits«, sagte er so beruhigend er konnte. »Entschuldigt die Störung um diese Zeit. Und entspannt euch. Ich will nur mit euch reden.«
Für eine Weile war es sehr still im Raum. Dann verengte der älteste der drei Menschen – ein
Weitere Kostenlose Bücher