Unberuehrbar
Stimme war glühend heiß und klirrend kalt, samtig warm und beruhigend kühl zugleich. »Weil du es mir sagen
willst
. Ich bin dein Wille, Cedric Ignatio Edwards, und ich befehle dir, es mir zu verraten:
Wo hast du das Mädchen hingeschickt?
«
Cedric würgte und hustete. Seine Finger klammerten sich an den Rahmen des Flügels, und er wankte auf weichen Knien. Dorians Blutgabe wütete in seinem Inneren wie ein Sandsturm, um die Worte, die Dorian zu hören wünschte, aus ihm herauszupressen. Er konnte sich nicht dagegen wehren.
Aber das brauchte er auch nicht.
Denn aus seinem Mund fiel nichts als Leere.
Mit verschwommenem Blick sah Cedric auf. Dorians Wangen waren gerötet, seine Augen nun wieder sehr lebendig. Sie brannten vor Wut.
Cedric lächelte grimmig und spürte, wie ein warmer, feuchter Tropfen über sein Kinn rann. »Komm«, flüsterte er. »Versuch’s noch mal.«
Dorians Kiefer bebte. Er machte noch einen Schritt auf Cedric zu und streckte die Hand aus.
Cedric holte zitternd Luft. Federleicht legte sich Dorians Hand über seine Augen und seine Stirn. Für einen winzigen Augenblick war es, als würde selbst die Zeit den Atem anhalten.
Und im nächsten Moment donnerte die geballte Kraft von Dorians Gabe über Cedric hinweg, fegte die bröckeligen Reste der Barrieren um seinen Geist fort und ließ ihn nackt und schutzlos zurück. Aus weiter Ferne hörte er sich selbst schreien. Unartikulierte Laute, das Brüllen eines zu Tode gequälten Tieres. Innerlich aber war er ganz klar. Er hatte keine Angst. Er wusste, die Information, die Dorian aus ihm herauszuzwingen versuchte, war nicht mehr da.
Frei hatte sie mitgenommen.
Und nun stand der Weg weit offen.
Berührung hilft
. So hatte er selbst es erst kürzlich Frei beigebracht. Und obwohl jede Faser seines Körpers danach drängte, den weißen Fingern auszuweichen, die sein Gesicht umschlossen, hielt er still. Er hatte nur den einen Versuch. Wenn der misslang, war alles vorbei.
Tief unter dem wütenden Schmerz, der in seinem Kopf tobte, lächelte Cedric. Dorians Kraft hatte nicht nur die Barrieren niedergerissen – sie hatte auch eine Verbindung hergestellt. Sie ließ einen Punkt tief in Cedrics Sein beben, den er seit Jahrhunderten nicht berührt hatte. Die reine Essenz seiner Blutgabe, uralt und stark – und viel zu gefährlich, um sie im alltäglichen Leben einzusetzen. So gefährlich, dass Cedric sie seit einer Ewigkeit eisern unter Verschluss hielt und sich geschworen hatte, sie nie wieder einzusetzen. Aber jetzt war das alles gleichgültig. Dorian hatte keine Skrupel. Also würde er auch keine haben.
Mühsam hob er die wunden Lider und blickte Dorian durch den Sturm hindurch fest an. Dann schloss er die Finger um dessen Handgelenk.
Er sah noch, wie Dorian die Augen aufriss, spürte, wie er versuchte, seinen Arm zurückzureißen, als er erkannte, welche Gefahr er geweckt hatte. Aber Cedric ließ ihn nicht mehr los. Ein mörderischer Energieschub strömte aus seinen Händen, raste Dorians Arme hinauf bis in seinen Kopf – rohe, ungezügelte Kraft, die in sein Stammhirn eindrang, die synaptischen Verbindungen im Hippocampus zerfetzte und große Teile des limbischen Systems lahmlegte.
Er spürte den Schlag, der Dorians Hirn erschütterte, wie einen Rückstoß, der ihn selbst innerlich in winzige Splitter zerspringen ließ. Wie ein Sturzbach floss sämtliche Energie, die ihm geblieben war, aus ihm heraus und über die Verbindungin Dorian hinein. Selbst wenn er sie hätte halten wollen, er hätte es nicht mehr gekonnt. Seine letzte Aktion. Der einzige Versuch. Er
durfte
nicht verlieren.
Dorians Augen verdrehten sich, bis nur noch das Weiße zu sehen war, und sein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Er taumelte. Krallte seine Finger in Cedrics Haare, als könne er sich daran festhalten.
Dann stürzte er.
Und Cedric mit ihm.
Kapitel Fünfzehn
Asia Park, Kenneth, Missouri
Etwas Warmes und Feuchtes drückte sich gegen Freis Hand und weckte sie aus einem unruhigen Schlaf. Noch ein wenig benommen schlug sie die Augen auf und wusste im ersten Augenblick nicht, wo sie sich befand – bis sie es roch. Säuerlich. Faulig. Und nach alten Exkrementen.
Mit einem Schlag kehrte die Erinnerung zurück. Hank hatte sie am Morgen zuvor tatsächlich, wie versprochen, in seinen Unterschlupf geführt: eine verlassene öffentliche Toilette am Rand einer der verwilderten Wiesen tief im Herzen des Asia Parks. Feucht, siffig und stinkend zwar, aber sie
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