Unberuehrbar
nicht nur um mich, Elizabeth. Sie werden von euch trinken. Sie werden euch benutzen.«
Elizabeth musterte ihn fragend. »Ist das denn schlimm? Dir macht es doch nichts aus.«
Red schüttelte den Kopf. »Nein, das stimmt. Es ist jedenfalls nicht schädlich. Aber es verändert die Menschen. Ich … würde nicht wollen, dass sie dich anfassen, verstehst du?«
Er sah Elizabeth schlucken. Für einen Moment bedeckte sie ihre Augen mit den Fingern, als müsse sie die Welt aussperren, um besser begreifen zu können, was er sagte. Natürlich verstand sie es nicht. Wie sollte sie auch? Red wusste ja selbstnicht, wie er dieses Gefühl erklären sollte. Dass er sich, seit er Elizabeth getroffen hatte, unrein fühlte im Vergleich zu ihr. Weil noch nie ein Vampir ihr Blut genommen hatte, war sie ein Mensch – und nur das. Nichts und niemand anderes. Und Red würde nicht zulassen, dass sich das änderte. Es war schlimm genug, dass er Kris und Chase trotz besseren Wissens in ihr Dorf gebracht hatte. Aber um das zu ändern, war es jetzt zu spät.
Endlich senkte Elizabeth die Hände und atmete tief durch. »Du musst mir mehr darüber erzählen. Bitte. Nicht jetzt, ich muss gehen, bevor Morna aufwacht. Aber vielleicht … können wir uns später sehen?«
Red rieb sich unsicher über den Nacken. Sein Gefühl sagte ihm deutlich, dass das nicht klug war. Dass es für Elizabeth besser sein würde, wenn sie sich nie wieder begegneten. Und trotzdem – er hatte das Gefühl, es ihr schuldig zu sein. Langsam nickte er.
»Heute Abend. Wenn es dunkel ist. Kannst du kommen, ohne dass es jemand merkt?«
Elizabeths Gesicht leuchtete hoffnungsvoll auf. »Versprichst du, dass du da sein wirst?«
Red hob einen Mundwinkel zu einem halben Lächeln. »Ich warte genau hier. Versprochen.«
Auch in Elizabeths Mundwinkeln erschien ein Lächeln. Dann streckte sie noch einmal die Hand aus und griff nach Reds – eine ruhige, unaufgeregte Bewegung, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Ihre Finger verschränkten sich mit seinen.
»Dann bin ich auch da.«
Red zog seine Hand nicht weg, obwohl sein erster Reflex eine erneute Flucht nach hinten war. Elizabeths Haut war trotz der morgendlichen Kühle warm und seltsam vertraut. Es warein eigentümliches Gefühl. Nicht das, was Red sich so schmerzhaft wünschte. Aber ihm war plötzlich, als könnte diese Wärme, diese Nähe – und dieser flüchtige Duft nach wilden Blumen – ein winziges Stück des gähnenden Lochs füllen, das in seiner Seele klaffte. Den dumpfen Schmerz wenn schon nicht heilen, dann doch wenigstens lindern.
Sekundenlang sahen sie sich nur an. Lauschten auf den Wind, der die Geräusche der erwachenden Stadt herantrug. Ihr zweiter Kuss war viel weniger erschreckend als der erste. Er kam nicht unerwartet, sondern geschah einfach – etwas, das geschehen musste, das sie beide wollten und bei vollem Bewusstsein erlebten. Red spürte den Schlag seines Herzens, der sich leicht beschleunigte, als ihre Lippen sich trafen, und das elektrisierende Prickeln, das sanft durch seinen Körper floss, bis er ganz leicht und warm war. Es fühlte sich nicht richtig an. Aber auch nicht falsch. Überhaupt nicht falsch. Er war lebendig, und das konnte einfach nicht falsch sein. Der Moment dauerte eine Ewigkeit. Und war doch viel zu kurz.
Aus hellen Augen sah Elizabeth ihn an, als sie sich trennten. Ihr Gesicht war noch immer ganz nah an seinem. Ihre Hand löste sich aus Reds und strich ihm wirre Strähnen aus der Stirn.
»Heute Abend«, murmelte sie. Ihr Atem streifte Reds Wange. Dann trat sie einen Schritt zurück.
Ein Teil von Red wollte sie in diesem Augenblick aufhalten, sie festhalten – aber er schloss nur seine nun leeren Finger zur Faust und nickte.
»Versprochen«, sagte Elizabeth etwas lauter, und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. Dann wandte sie sich endgültig um und verschwand zwischen den Bäumen im Nebel.
Eine ganze Weile noch blieb Red genau dort stehen, wo er war, und sah ihr nach, auch als sie schon längst nicht mehr zusehen war. Erst als die langsam kräftiger werdenden Strahlen der Morgensonne immer heller durch die Zweige blinzelten, machte er sich langsam auf den Weg zurück zum Strand. Wenn er heute noch unbemerkt in die Burg kommen wollte, musste er sich allmählich beeilen.
Kapitel Fünf
Am Ufer des Loch Liath, Kinlochliath, Schottland
Als er zu der Stelle kam, an der das Ufer des Sees zwischen den Baumstämmen vor ihm auftauchte, blieb
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