Unberuehrbar
Blue war noch nicht gesprochen,das stimmte. Aber es war keineswegs so, dass Kris vorhatte, ein erneutes Treffen zwischen ihr und Red zu verhindern. Im Gegenteil. Er wünschte es sich sogar. Nur war Blue definitiv
sein
Trumpf – nicht der von Chase.
Blue gehörte Kris.
Sie hatte ihm immer gehört, seit er in die OASIS eingedrungen und ihr an der Mauer begegnet war; seit er von ihr getrunken und sie ihn angefleht hatte, sie mitzunehmen. Jetzt, wo sie eine Bluterin war, konnte Kris natürlich nichts mehr mit ihr anfangen. Aber sie war und blieb der endgültige Schlüssel zu Reds Loyalität, und das war es, was zählte.
Kris drehte sich auf die Seite und schloss die Augen. Das Pochen in seiner Brust war ein wenig stärker geworden, aber in diesem Moment kümmerte er sich nicht darum. Sie war nicht nur schlecht, diese Dunkelheit. Sie wärmte ihn auch und machte ihn schläfrig – und er brauchte Schlaf, brauchte Kraft. Noch konnte er Blue sowieso nicht erreichen. Noch musste er auf Cedric vertrauen, dass er das Mädchen aus ihrem Bluterwahnsinn befreite. Und bis es so weit war, würde er eben auf andere Weise dafür sorgen, dass sein einziger Jäger bei ihm blieb. Es würde alles gut werden – auf seine Art.
Auch, wenn er dafür ein Menschenmädchen unglücklich machen musste.
Kapitel Vier
Im Wald bei Kinlochliath, Schottland
Nachdem die Vampire verschwunden waren, standen Red und Elizabeth noch eine ganze Weile schweigend nebeneinander. Graues Zwielicht sickerte langsam zwischen die Bäume. Es war kein angespanntes Schweigen, nichts, was die Luft auflud oder wie eine Wand zwischen ihnen gestanden hätte. Keine Kluft, die sie trennte. Sie schwiegen einfach, jeder für sich allein, und betrachteten den Strand hinter den knorrigen Eichenstämmen, der längst wieder verlassen war.
»Ich bin dir nicht böse«, sagte Elizabeth endlich, als Red schon glaubte, sie würde sich vielleicht einfach umdrehen und gehen, ohne dass sie noch ein einziges Wort gewechselt hätten – als wäre er gar nicht da und niemals da gewesen.
Überrascht sah er zu ihr hinüber. »Bist du das wirklich nicht?«
Elizabeth lächelte schief und schob die Hände in die Hosentaschen. »Sollte ich?«
Red hob die Schultern. »Ich wär’s.«
Elizabeth betrachtete ihn nachdenklich. Ihr Blick war prüfend, aber Red konnte nicht abschätzen, ob sie ihn prüfte oder doch sich selbst. »Gehen wir ein Stück?«
Red nickte stumm und folgte ihr, als sie voranging, tiefer in den Wald hinein. Nebeneinander stapften sie durch das modrige Unterholz. Zweige knackten leise unter ihren Füßen, und Fetzen von Bodennebel krochen um ihre Waden. In der Ferne blökte ein Schaf. Ein zweites antwortete. Die Morgenluft lagfeucht auf Reds Wangen und verfing sich in feinen Tröpfchen in seinen Wimpern und Haaren.
Elizabeths Schweigen war nun deutlich unruhiger als zuvor. Zumindest hatte Red diesen Eindruck. Es war, als ob sie sich sammelte, um etwas auszusprechen, das ihr auf der Seele brannte und das ihr doch schwerfiel, in Worte zu fassen. Red hätte zu gern gewusst, was es war. Aber er störte sie nicht. Er wartete einfach.
Und schließlich holte Elizabeth tief Luft.
»Um ehrlich zu sein, habe ich immer gehofft, dass so etwas passiert. Seit Jahren, verstehst du?«
Red runzelte die Stirn und warf ihr von der Seite einen Blick zu. »So etwas?«
Elizabeth presste die Lippen zusammen und strich sich ein wenig fahrig eine feuchte Haarsträhne aus den Augen. Ihr Kinn war angespannt und ein winziges Stück zu weit nach vorn geschoben. War ihr Schritt energischer geworden, oder bildete Red sich das ein?
»Na ja –
irgendetwas
eben. Etwas, das mein Leben verändert. Egal, was.«
»Veränderung?« Red hob zweifelnd die Brauen. »Aber wieso?«
Elizabeth atmete angestrengt ein. Doch wirklich, dachte Red, sie schritt jetzt deutlich kräftiger aus als zuvor.
»Ich will hier weg«, brachte sie nach etwa zehn weiteren Schritten endlich heraus. »Ich halte dieses Nest nicht mehr aus. Ich weiß, es ist das Sicherste, hierzubleiben, aber darauf pfeife ich! Ich will die Welt dort draußen sehen, auch wenn sie gefährlich ist!«
Red zuckte unwillkürlich zusammen. Es war, dachte er und spürte, wie ihm innerlich kalt wurde, als hätte er dieses Gespräch schon einmal geführt. Die gleichen Worte gehört, aneinem anderen Ort, aus einem anderen Mund, ein ganzes Leben weit entfernt. Als hätte er dieses entschlossene Gesicht schon einmal betrachtet und sich gewünscht, die
Weitere Kostenlose Bücher