Uncharted - Das vierte Labyrinth
unter sich hören konnte. Drake hatte nur selten Platzangst empfunden – eine der wenigen Ausnahmen war sein Aufenthalt in einem engen Hohlraum gewesen, als er vor sieben Jahren durch den Einsturz einer Aztekengruft unter mehreren Tonnen Erde begraben worden war – , aber nun begann ihm das Herz in der Brust zu hämmern, und ein Anflug von Panik zerrte an seinen Nerven. Sein Körper sehnte sich nach dem weitem Himmel und frischer Luft, wie es sonst nur der Fall war, wenn er beim Tauchen zu lange unter Wasser blieb. Und dass er hier so schutzlos herumkraxelte, ohne dass ihm jemand im Falle eines Angriff helfen konnte, machte die Sache auch nicht besser.
Als unter ihm Geräusche laut wurden – das Poltern von Stiefeln und das Klacken, mit dem Gewehre entsichert wurden – wurde sein Bedürfnis, diesen scharfkantigen Tunnel hinter sich lassen zu können, noch stärker. Auch das Gemurmel der Söldner konnte er nun hören, und als er nach unten linste, erkannte er, dass er den Boden beinahe erreicht hatte. Olivia, die direkt unter ihm war, entfernte sich gerade vorsichtig von der Wand und trat in eine große Höhle hinaus. Corelli, Henriksen und die Söldner an der Spitze waren bereits außer Sicht.
„Was ist los?“, fragte Jada hinter und über ihm.
Unten sog Olivia scharf den Atem ein, und als er noch einmal zu ihr hinabblickte, konnte er sehen, wie sie ihre Taschenlampe hin- und herschwenkte.
„Diyu“, sagte sie vermutlich zu sich selbst.
„Wir sind in der Hölle“, erklärte Drake.
Doch erst, als er sicher den Boden erreicht hatte und den anderen in das Gewölbe folgte – eine natürliche Höhle mit schroffen Wänden und einer spitz zulaufenden Decke, die an eine urzeitliche Kapelle erinnerte – , holte ihn die Realität hinter diesen Worten ein. Da waren Steinaltare, in die man die Gesichter chinesischer Dämonen geritzt hatte, und entlang einer pockennarbigen Wand waren große Eisenhaken in den Fels getrieben. Wände und Boden waren mit grausigen, kupferbraunen Flecken übersät, die von Jahrhunderten vergossenen Blutes und herausgerissener Eingeweide zeugten. Der Ort war erfüllt von der Qual gefolterter Seelen. Drake war noch nie in einem Schlachthof gewesen, aber das hier kam dem Bild in seinem Kopf verdammt nahe.
„O mein Gott“, stieß Jada hervor, als sie hinter ihm in die Höhle trat.
Der Klang ihrer Stimme ließ ihn zusammenzucken. Die Söldner, die den Abschluss bildeten, hatten nun ebenfalls den Boden erreicht, und ein paar von ihnen machten ihrer Überraschung mit Flüchen Luft, doch die meisten waren schon zu sehr an die Grausamkeit der Menschen gewöhnt, um bei diesem fürchterlichen Anblick auch nur eine Miene zu verziehen.
„Sehen Sie sich das an“, sagte Corelli. Er deutete auf einen Opferaltar.
Entsetzt wie er war, verwandelte sich das Blut in Drakes Adern in Eiswasser, als er an die Karte an der Wand der chinesischen Gebetskammer auf Thera dachte.
„Das ist nur ein Raum“, meinte er. „Es muss noch andere geben. Vielleicht sogar eine ganze Menge.“
„Nate, hier drüben“, rief Jada.
Als er sich umdrehte, leuchtete sie mit ihrer Taschenlampe über eine Wand, die mit grässlichen Dämonenfratzen und Bildern von Folterungen bemalt war. In der Mitte thronten riesige Männer mit Hörnern und animalischen Gesichtern – Minotauren – und eine verschleierte Frau. Sie musste das Diyu-Gegenstück zur Hüterin des Labyrinths sein. Abgesehen von den chinesischen Symbolen an der Wand und den verschiedenen Stilen der Darstellung stach Drake vor allem ein Unterschied zwischen diesen Bildern und denen, die sie schon zuvor gesehen hatten, ins Auge. Er betraf das kelchförmige Gefäß, das die Hüterin in den Händen hielt. Sieben Sklaven knieten in einem Halbkreis vor ihr, als würden sie eine Salbung erwarten. Alle hatten die Hände nach dem Gefäß ausgestreckt, und die Hüterin schien es ihnen hinzuhalten, damit sie es entgegennehmen konnten.
Henriksen und Olivia traten hinter sie. Drake blickte über die Schulter, und er sah, wie Olivia ein einziges Mal nickte, als hätte sich gerade eine ihrer Vermutungen bestätigt. Dann wandte sie sich desinteressiert ab. Henriksen blieb noch einen Moment länger vor der Wand stehen, aber dann ging auch er weiter.
Das Wandgemälde überraschte sie nicht im Geringsten.
„Ob das wohl Dädalus’ Honig sein soll?“, fragte Drake und zeigte auf den Kelch.
„Das glaube ich auch“, meinte Jada.
Massarsky trat auf sie zu. „Kommt schon.
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