Und abends etwas Liebe
geraten.
Paul
bemerkte kurz: »Also gut, wenn deine Mutter einverstanden ist. Wenn ja, dann
sehe ich keinen Grund, warum du zurückgehen solltest. Und vielleicht solltest
du besser auf die Anrede >Onkel< verzichten.«
Die
Schlacht war gewonnen. Wir hatten uns eine siebzehn Jahre alte Nichte zugelegt,
und ich fragte mich nur, was wir mit ihr anfangen würden.
An
diesem Abend, als ich glaubte, Paul sei bereits eingeschlafen, sagte er
plötzlich: »Widerlich, wie das bei denen zugeht. Claudia ist ein richtiges
kaltes Biest. Als sie einmal hier war, habe ich schon gemerkt, daß sie für
Kinder nicht viel übrig hat. Sie sah nur ihre Verehrer. Was hältst du von
Tony?«
Hier
war äußerste Vorsicht geboten. Ich sagte: »Ich mag sie sehr gerne.«
Mit
einer Erleichterung, die für meine Familie wenig schmeichelhaft war, sagte er
begeistert: »Gott sei Dank.« Und dann: »Glaubst du, sie wird uns hier zur Last
fallen?«
»Zur
Last? Überhaupt nicht«, meinte ich überzeugt. »Ich freue mich riesig.«
Paul schien
wirklich erleichtert und sagte: »Schließlich wird es nicht anders sein, als
hätten wir eine ältere Tochter.«
Ich
schluckte. Ich war dreißig und Tony siebzehn.
Paul
grunzte zufrieden, aber dann wurde er plötzlich unruhig, und mit fester Stimme
sagte er: »Du mußt gut auf sie aufpassen, Susan. Stell dir vor, das Mädchen ist
ganz alleine bis hierher gekommen. Aber sie mag unsere Gegend, nicht wahr?«
Ja,
das tat sie wirklich.
Dann
hatte ich eine Idee. »Ich nehme an, Tony ist vor allem wegen dir zu uns gekommen.
Schließlich ist sie deine Nichte. Und deshalb findet sie bei uns auch alles so
schön.«
Eine
der wenigen Sternstunden in meinem Leben. Eine Stunde, die Paul für immer auf
die Seite seiner Nichte bringen sollte.
4
Es lag
auf der Hand, daß Tony unter starken inneren Spannungen litt, als sie bei uns
eintraf. So leicht ihr das Ganze zu fallen schien, so schwer fiel es ihr doch
in Wirklichkeit, sich von allen ihren Freunden und ihrem Zuhause zu lösen, auch
wenn sie dort nicht gerade glücklich gewesen war. Wir waren für sie zunächst
nichts weiter als entfernte Verwandte, denen sie vorher noch nie begegnet war.
Wir hatten sie eher für eine rührendtraurige, kleine Person gehalten, deren
Lage sie nur um so bedauernswerter machte. Sogar Paul hatte gesagt: »Scheint
ein stilles Kind zu sein. Vielleicht sollte man sie ein wenig aufrütteln.«
Aber
schon während der ersten und zweiten Woche nach ihrer Ankunft begann sie sich
zu entfalten, fast wie eine Pflanze, der das Wasser gefehlt hatte und der man
plötzlich die richtige Pflege angedeihen ließ. Wir waren überrascht,
festzustellen, daß Tony in Wirklichkeit überhaupt nicht traurig oder
melancholisch war. Sie hatte genau das fröhliche, aufgeschlossene Wesen, auf
das die geschwungenen Linien in ihrem kleinen Gesicht von Anfang an hatten
schließen lassen. Ich konnte jetzt durchaus verstehen, warum Tony bei ihren
Mitschülerinnen so beliebt gewesen war. Die große Zahl von Briefen, die Annie
treuherzig umadressiert hatte und die inzwischen für Tony bei uns eingegangen
war, stellte den besten Beweis dar.
Eines
Tages sagte Larry, wesentlich taktvoller als Paul: »Es muß doch schön für dich
sein, Tony um dich zu haben. Wie eine jüngere Schwester.«
Das
hörte sich schon besser an, als von einer älteren Tochter zu sprechen. Aber
trotzdem meinte ich: »Ja, wenn es ihr auch weiterhin bei uns gefällt. Ob das
alles aber so bleibt? Schließlich habe ich mehr als einmal davon gehört,
rothaarige Menschen seien entsetzlich temperamentvoll.«
»Ich
glaube nicht, daß Tony diese Art von Temperament hat. Sie ist absolut normal,
außer vielleicht...«
Das
hörte sich beunruhigend an, und ich fragte unseren Spezialisten für
Kinderpsychologie danach, welchen Knacks Tony denn bereits erkennen ließe.
Ernst und ohne den beißenden Spott in meiner Frage zu beachten, sagte Larry:
»Oh, nur, daß sie so furchtbar jung ist. Siebzehn. Kaum zu glauben. Gott, wenn
ich daran denke, wie ich mit siebzehn Jahren war!«
Ȇbrigens
nehme ich heute nachmittag Tony mit zu Anne. Willst du nicht auch kommen?«
»Ich
hoffe, der Colonel ist auch da. Ich habe so das Gefühl, Tony wird in seinen
Augen das ideale junge Mädchen sein.«
Und
Tony eroberte Colonel Gerard im Sturm. Obwohl sie sich uns gegenüber inzwischen
sehr offen und fröhlich gab, war sie in Gegenwart älterer Leute immer noch ein
wenig scheu. Dadurch wirkte sie eher angenehm
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