Und da kam Frau Kugelmann
Vater feuerte die Herren an, etwas gegen den Österreicher zu unternehmen. Sie wohnten in Bendzin doch so nahe an der Grenze, sie könnten die Augen nicht verschließen, sie müssten es für ihre Brüder in Deutschland tun, aber auch für die Judenheit Polens. Man könnte nicht unbeteiligt wegsehen, wenn in einem so wichtigen Land die Regierung ihre Juden aus allen Berufszweigen verjagte und allen Ernstes behauptete, sie würden den Deutschen wie Parasiten das Blut aussaugen.
Gerade die Schlesier, die jenseits der Grenze lebten und mit denen die Bendziner so eifrig Handel trieben, die hätten kräftig mitgeholfen, den mit der brüllenden Stimme an die Regierung zu bringen, und zwar in erschreckend hoher Zahl. Mit denen dürfe man nicht weiter Geschäfte betreiben und so tun, als sei nichts geschehen. Man wolle hier und heute ein Exempel statuieren und einen Boykott gegen schlesische Waren organisieren. Romek hätte sich, um alle so richtig in Stimmung zu bringen, am liebsten das mondäne Berliner Jackett, das er am Leib trug, ausgezogen und in den lodernden Küchenofen geworfen, wo er ein paar Stunden zuvor noch tüchtig Kohle nachgelegt hatte. Er hoffte insgeheim, dass vielleicht einer der Herren, der ebenfalls ein deutsches Jackett trüge, sich seines auch vom Leib reißen und in den brennenden Ofen schmeißen würde, ein flammender Treueschwur, ein großartiger Auftakt zum Boykott deutscher Waren!
›Sollen sie doch auf ihren Waren sitzen bleiben!‹, schrie er außer sich, ›auf ihrem Blech, ihrem Blei, ihrem Zink, ihrem Stahl!‹ Und dann, beschwörend mit heiserer Stimme:
›Glauben Sie mir, meine Herren, wenn alleine wir, die jüdischen Stahlhändler in Bendzin, die Waren boykottieren, wird sich das schnell in Berlin herumsprechen, und in kürzester Zeit wird es auch der Herr Hitler erfahren, und glaubt mir, Freunde, es wird ihn ganz fürchterlich treffen!‹
Nach einer wohl kalkulierten Pause fuhr er ruhig fort:
›Der nächste Schritt wäre, den Boykott in andere Städte zu tragen, zuerst nach Lodz. Die Lodzer Fabrikanten könnten ihre Textilmaschinen aus Chemnitz abbestellen. Anschließend werden die Gleiwitzer kalt gestellt und dann andere produzierende deutsche Städte. Am Ende‹, schrie er mit lauter dröhnender Stimme, ›wird sich der Boykott über ganz Polen ausbreiten und den Hitler bis ins Mark treffen!‹
Bei der Abstimmung zum Boykott musste Fettauge das große Wohnzimmer verlassen, weil die Abstimmung doch eine geheime war, die Herren wollten keinen Beobachter haben, auch nicht so einen kleinen. Aber leider haben die Stimmen auf Fettauges angefertigten Wahlzetteln ergeben, dass die Herren in überwiegender Zahl den Boykott ablehnten. Man einigte sich darauf, dass sie erst zustimmen würden, wenn die Gemeindeführer und drei prominente kluge Männer, unter ihnen Dr. Goldstaub, den Boykott guthießen.
So hat der halbherzige Beschluss erst mal, statt Hitler zu treffen, Romek Ziegler maßlos verärgert.
Mitte der Woche fand das erste geheime Treffen mit den Gemeindeführern statt. Fettauge durfte nicht dabei sein, weil die Versammlung im Gemeindesaal stattfand. Am Abend konnte Fettauge nicht einschlafen, bis der Vater wieder im Hause war. Der Vater blieb vor Fettauges angelehnter Tür stehen und sagte mit lauter, überdeutlicher Stimme: ›Ab sofort, mit dem heutigen Abend, werden keine deutschen Waren mehr gekauft.‹ Fettauge öffnete leise die Tür, durch die er in das Wohnzimmer sehen konnte. Der Vater hatte das Radio angestellt, der donnernde Applaus war zu hören, und dabei hat er eine schwere Zigarre geraucht, was er nur tat, wenn es wieder etwas Großes zu organisieren gab, denn der Vater liebte es, mit der Zigarre im Mund hitzige Pläne zu entwerfen.
Romek Ziegler hat die Durchführung des Boykotts selbst in die Hand genommen. Es war mühsam, die deutschen Waren zu ersetzen, sich mit Rohren, Eisenrädern, Blech und Kupfer einzudecken. Neue Geschäftspartner mussten gefunden werden, die genauso pünktlich und gut lieferten wie die Schlesier. Die Produkte aus der Tschechoslowakei, so urteilte der Vater, konnten dabei noch am ehesten mit den schlesischen konkurrieren. Der Vater kannte sich aus. Als junger Mann hatte er in Lille Ingenieurwissenschaften studiert und eine Zeit lang in Frankreich komplizierte Maschinen installiert, bis er arbeitslos wurde. Erst bei seiner Rückkehr nach Polen ist er ein erfolgreicher Industrieller geworden.
Man fuhr nach Prag, um die Rohmaterialien zu
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