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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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Auseinandersetzungen aus dem Weg geht, und ganz bestimmt habe ich sie noch nie provoziert, denn Schlägereien finde ich primitiv und unter meiner Würde. Das ist etwas für besoffene Proleten auf dem Heimweg vom Fußballstadion oder für Leute, die das Foucaultsche Pendel für einen Schlagring halten. Aber jetzt ballt sich meine Faust wie von alleine, fast gegen meinen Willen, und alles geht so schnell, dass ich mich gar nicht zurückhalten könnte, selbst wenn ich es wollte. Aggressionen und Instinkt schalten mein Gehirn aus, als hätten sie nur darauf gewartet, endlich einmal den Knopf drücken zu dürfen, mit dem man die jahrzehntelang verinnerlichten gesellschaftlichen Umgangsformen einfach ausknipsen kann. Adrenalin flutet meine Adern, mein Kreislauf arbeitet auf Hochtouren und ich fühle mich wie ein Neandertaler, der die weiblichen Mitglieder seines Clans vor den Angriffen eines feindlichen Stammes beschützen muss. Die Muskeln in meinem rechten Arm spannen sich an, und während ich aushole, fange ich beinahe an zu grunzen. Und dann schlage ich zu und treffe Klaus mit voller Wucht mitten ins Gesicht. Seine Nasenknochen zersplittern mit einem merkwürdigen, knisternden Geräusch, so als zerbräche jemand ein paar Streichhölzer direkt neben meinem Ohr, und ich spüre Blut unter meiner Faust.
    „Selbst schuld!“ murmele ich befriedigt. „Das hat man davon, wenn man einen Hollweger auf dem falschen Fuß erwischt und seine Triebe nicht unter Kontrolle hat!“
    Klaus, genauso unvorbereitet auf meine Attacke wie ich selber, hält sich reflexartig die Hände vors Gesicht und starrt ungläubig auf das Blut, das auf seine Finger und sein frisch gebügeltes, weißes Steuerberater-Hemd tropft. Erst dann setzen die Schmerzen ein, seine Beine beginnen einzuknicken und er fällt auf den Teppich wie ein Sack Kartoffeln.
    „Er hat mir die Nase zertrümmert! Er hat mir die Nase zertrümmert!“ winselt er Mitleid heischend. Nicht einmal im Angesicht der Niederlage besitzt der Mann so etwas wie Würde.
    Ich dagegen fühle mich unglaublich gut. Primitive Schlägereien sind vielleicht doch ganz nett. Sie zeitigen Ergebnisse, ohne dass man sich auf mühselige und nervige Diskussionen einlassen muss. Man haut einfach zu und bekommt Recht. Toll! Ich komme mir vor wie der Held in einem Italo-Western. Fast bin ich versucht, lässig in den Staub zu spucken, meinen Cowboyhut zurechtzurücken und Sabine zu fragen: „He, Babe , wie war ich?“ Allerdings muss ich zugeben, dass der Kampf auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen ist. Ich glaube, ich habe mir den Mittelfinger verstaucht.
    Nach dem Ende unserer Auseinandersetzung herrscht Totenstille im Raum, man könnte eine Fliege pinkeln hören. Die Kinder sind stumm, sie haben vor Schreck aufgehört zu heulen und starren mich mit großen Augen an. Selbst meine Schwester sieht sprachlos zu mir herüber. „Ma… Marco!“ stottert sie und ihr Blick wandert hilflos zwischen ihrem Mann und mir hin und her. „Was … was war denn das?“
    „Klassische Übersprungshandlung!“ höre ich Rafael plötzlich hinter mir psychologisieren. Während des Kampfes muss er aus dem Gästezimmer gekommen sein und hat die Szene heimlich beobachtet. Jetzt kniet er neben meinem jammernden Schwager und sieht sich das gebrochene Nasenbein an.
    „Übersprungshandlung? Quatsch!“ entgegnet meine Schwester. „Das ist, wenn zum Beispiel zwei Hähne aufeinander treffen und anfangen, nach nicht vorhandenen Körnern zu picken, weil sie sich nicht zwischen Angriff und Flucht entscheiden können. Das hier kam mir eher vor wie der Versuch, die Familienehre zu verteidigen – wie süß von dir, Marco!“ Sie betrachtet ihren verletzten Mann mit einer Mischung aus Neugier und Ekel, als wäre er das Beutestück eines nächtlichen Jagdausflugs, das ihr die Katze vor die Füße gelegt hätte. Besonders viel Mitleid scheint sie mit ihm jedenfalls nicht zu haben. Dann fügt sie an mich gewandt hinzu: „Hat dir übrigens schon mal jemand gesagt, dass du wie ein siamesischer Kampffisch aussiehst, wenn du wütend bist? Du bekommst einen knallroten Kopf!“ Das Bild des Westernhelden zerplatzt wie eine Seifenblase.
    „Ersatzbefriedigung!“ unterbricht Rafael, als hätte er ein Rätsel gelöst, an dem er wochenlang zu knacken gehabt hat. „Dann war es Ersatzbefriedigung!“
    „Wie bitte?“ frage ich erstaunt und schüttele meine Faust aus, die mittlerweile ziemlich wehtut.
    „Überleg doch mal“, versucht Rafael zu

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