Und dann der Himmel
den Kamin angeworfen. Die Holzscheite knacken und senden kleine, glühende Späne auf den gekachelten Küchenboden. Rafael hat die Füße auf den Tisch gelegt, nuckelt an seinem Bier und wippt auf den Hinterbeinen seines Stuhls, während er Finn zuhört. „Noch nie in meinem Leben war ich so verliebt wie in diesen ersten Wochen im Juli. Kennst du das Gefühl, wenn man wie auf Wolken schwebt?“
„Durchaus. So was machen Engel ständig“, wirft Rafael ein und bringt Finn damit aus dem Konzept.
„Äh, ja. Jedenfalls hatte ich plötzlich so viel Energie, dass ich Bäume hätte ausreißen können – und alles nur wegen dieses merkwürdigen, chaotischen Mannes, der mit über dreißig Jahren noch immer in einer WG wohnt, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält und sich eigentlich gar nicht binden will.“
„Marco will sich nicht binden?“ fragt Rafael. „Aber er ist doch immer auf der Suche nach dem Mann seiner Träume.“
Finn lacht verbittert auf. „Er ist auf der Suche nach einem Mann ohne Fehler“, korrigiert er. „Das ist ein großer Unterschied. Aber einen solchen Mann gibt es nicht.“
„Was hat dich dann an ihm so fasziniert?“ fragt Rafael und rülpst verstohlen. „Ich meine, außer, dass er gut im Bett ist, ist er doch ziemlich unreif für sein Alter und ziemlich selbstmitleidig.“
Finn grinst. Plötzlich ist er froh, dass er jemanden hat, mit dem er über Marco reden kann. „Was ich so toll an ihm finde? Abgesehen davon, dass er verdammt gut aussieht mit diesen niedlichen Sommersprossen und den rötlichen Haaren, für die er sich immer schämt? Seine widersprüchlichen Charakterzüge“, antwortet er schließlich. „Er besitzt die Fähigkeit, ohne Sorgen und Planungen in den Tag hineinzuleben, er ist impulsiv, immer für eine Überraschung gut - und ein bisschen tollpatschig. Das fand ich niedlich. Einmal, als er am Wochenende bei mir zu Besuch war, hat er das Bett mit Rosenblüten bestreut, während ich schlief. Es wäre bestimmt sehr romantisch geworden. Aber dann ist er versehentlich auf einen der dornigen Stängel getreten, und ich bin aufgewacht, weil er fluchend auf einem Bein durchs Schlafzimmer gehüpft ist. Eine Stunde habe ich gebraucht, bis ich mit der Pinzette sämtliche Stachel aus seinen Fußsohlen entfernt hatte. Und wusstest du, dass er wasserscheu ist? Er geht in Hallenbädern immer nur ins Nichtschwimmerbecken und er hat mir mal eine Szene gemacht, als wir im August im Freibad waren und ich weiter als fünfzig Meter rausgeschwommen bin. Er hatte Angst, ich würde ertrinken.“
Finn muss lächeln, als er sich daran erinnert, und braucht einen Augenblick, bis er sich auf Rafaels Frage besinnt. „Auf der anderen Seite hat er ein großes Sicherheitsbedürfnis, fast wie ein kleines Kind. Er kann furchtbar stur sein und sehr eifersüchtig. Jeder Mann ist für ihn ein Konkurrent. Zu Anfang fand ich das ja noch schmeichelhaft, aber dann war es eher wie in einem goldenen Käfig.“ Für einen Moment vergisst Finn erneut Rafaels Anwesenheit und hängt seinen Gedanken nach. Dann kommt er abrupt wieder zu sich. „Weißt du“, sagt er, „ich habe das noch nie jemandem gesagt, und jetzt, wo er weg ist, ist es wahrscheinlich auch nicht mehr wichtig, aber Marco …“ Finn zögert und sucht nach den richtigen Worten, „… mit ihm fühlte ich mich vollständig, wie ein Puzzle, dem man endlich das fehlende Teil eingesetzt hat. Verstehst du, was ich meine?“
Rafael nickt geistesabwesend und versucht über seine Schulter zu greifen, um seinen linken Flügel zu kratzen. „Dieser Juckreiz macht mich wahnsinnig!“ flucht er. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist, wenn die Dinger nachwachsen.“
Finn seufzt. „Du verstehst es nicht“, sagt er enttäuscht. „Aber wie solltest du auch. Du bist ja ein Engel. Wahrscheinlich biegt ihr euch im Himmel vor Lachen, wenn ihr euch das Chaos betrachtet, das sich die Menschen mit ihren Gefühlen antun.“
„Im Gegenteil“, erwidert Rafael. „Im Grunde beneide ich die Menschen. Ich bin schon von der Definition her zu nichts als immer währender Liebe fähig. Du glaubst gar nicht, wie anstrengend das sein kann. Ich würde sonst was darum geben, mal wieder so richtig ausrasten zu dürfen. Der letzte Aussetzer, den Gott uns gestattet hat, ist schon eine halbe Ewigkeit her.“ Er bemerkt Finns fragenden Gesichtsausdruck und fügt erklärend hinzu: „Die Sintflut, du weißt schon. Ausrottung der gesamten Menschheit bis auf
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