Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
Vom Netzwerk:
Rafael in diesem Chaos die gute Laune hat, und ich werde das Gefühl nicht los, dass er die Art und Weise, wie sich unser Urlaub entwickelt, vorausgesehen, wenn nicht sogar beeinflusst hat.
    „Was machen deine Flügel?“ frage ich.
    „Sie wachsen.“
    „Gut“, erwidere ich gehässig. „Sehr gut.“
    Eine halbe Stunde später befinden wir uns erneut auf der Autobahn, nur diesmal in Richtung Süden. Die Heide verliert sich im Rückfenster unter grauen Schlieren und Rafael hat die Scheibenwischer eingeschaltet. Es schneit noch immer.
    Im Wagen ist es enger geworden. Ich sitze wieder neben Rafael auf dem Beifahrersitz, aber Adolf und Fridolin müssen sich jetzt mit Plätzen ganz hinten im Wagen zufrieden geben, eingequetscht zwischen unseren Rucksäcken und diversen Taschen und Koffern, in die Sabine in aller Eile das Notwendigste für sich und die Kinder hineingeworfen hat. Simon und meine Schwester teilen sich die Rückbank des Lieferwagens und haben Annika zwischen sich gesetzt, auf den Platz, den die Dogge gestern eingesabbert hat. Das macht aber nichts, denn Annika sabbert mindestens genauso viel. Überhaupt scheinen sich meine Nichte und mein Neffe in atemberaubender Geschwindigkeit mit meinen Haustieren angefreundet zu haben. Bevor wir losgefahren sind, habe ich gesehen, wie Simon auf den Rücken der Dogge geklettert ist und einige Runden um unser Auto gedreht hat, als befände er sich beim Dressurreiten im Zirkus. Hinterher hat Adolf mich angesehen, als wollte er mir sagen, dass dies sein Beitrag sei, die Kinder abzulenken, und ich habe mich dabei erwischt, wie ich ihm dankbar die Ohren gekrault habe. Annika dagegen ist von Adolfs Größe noch ein wenig eingeschüchtert, dafür jedoch scheint sie es faszinierend zu finden, wie unermüdlich Fridolin joggt. Immer wieder dreht sie ihren Kopf nach hinten und beobachtet den Hamster in seinem quietschenden Laufrad.
    Obwohl langsam der Weihnachtsverkehr in die südlichen Wintersportregionen einsetzt, kommen wir gut voran, denn es ist noch früh, wir haben Sabines Zuhause schon kurz nach acht Uhr verlassen. Allerdings ist es auch noch eine ganze Strecke, bis wir bei meinen Eltern in Franken ankommen. Schon nach einer halben Stunde wird Simon unruhig und erkundigt sich in regelmäßigen Abständen, wann wir endlich da sind. Meine Schwester scheint die Fragerei nicht zu stören, sie sitzt reglos da, starrt aus dem Fenster und hängt ihren Gedanken nach. Ich bin erstaunt, wie gefasst meine Schwester das Ende ihrer Ehe aufnimmt. Sicher, sie hat Wut und Zorn herausgelassen, hat aus ihrer Enttäuschung keinen Hehl gemacht, hat geschrien und gebrüllt, aber sie hat noch nicht eine einzige Träne vergossen. Ich will meine Schwester fragen, ob sie sicher ist, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, oder ob alles vielleicht doch eher eine Kurzschlusshandlung war. Ich will ihr helfen, ihr zeigen, dass ich für sie da bin, aber als ich mich nach hinten drehe, schaut sie demonstrativ weiter zur Seite. Schließlich belasse ich es bei einem Lächeln, das aufmunternd ausfallen soll, aber irgendwie hilflos wirkt.
    Stattdessen gebe ich Simons Quengelei nach und sage: „Wir sind bald da.“ Natürlich erreiche ich mit dieser ausweichenden Antwort nichts, denn erstens will es mein Neffe genau wissen und zweitens ist er böse auf mich, weil ich seinen Papa platt gemacht habe. Über den Rückspiegel wirft er mir andauernd anklagende Blicke zu. Schließlich erbarmt sich Rafael und unterhält die Nervensäge mit Anekdoten aus dem Himmelreich, die wie immer ziemlich schräg klingen. Es geht um einen Kegelwettbewerb, bei dem die Mannschaft Luzifers angeblich mit manipulierten Bowlingkugeln gespielt hat, um Flugstunden für Engel mit Höhenangst und den Tag, als Petrus den Schlüssel zur Himmelspforte verlegt hatte und mit den Protesten der verstorbenen Seelen nicht fertig wurde, die sich schon um ihren wohl verdienten Eintritt ins Paradies gebracht sahen. Alle drei Geschichten klingen, als hätte Rafael sie sich gerade aus den Fingern gesogen, aber zumindest erfüllen sie ihren Zweck. Simon vergisst seine Langeweile und seinen Unmut und hört Rafael gebannt zu. Ich schüttele stumm den Kopf und schließe die Augen.
    Nur einen kleinen Moment, denke ich und gähne ausgiebig. Nur mal kurz abschalten.
    „Die ersten Wochen waren unglaublich schön“, beginnt Finn stockend. Rafael und er haben es sich in der Küche gemütlich gemacht. Finn hat noch zwei Flaschen Bier hervorgekramt und

Weitere Kostenlose Bücher