Und dann der Himmel
erklären, während er etwas abwesend mit einem Tempo in Klaus’ Gesicht herumtupft, „kommt dir an dieser Situation nicht irgendetwas bekannt vor? Klaus betrügt deine Schwester und Sabine beschließt, ihren Mann zu verlassen. Woran erinnert dich das?“
Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Sag du es mir.“
„Finn!“ antwortet Rafael.
Ich will erst abfällig auflachen, so absurd kommt mir diese Überlegung im ersten Moment vor, aber dann wiederhole ich langsam: „Finn …“
„Verstehe ich nicht!“ wendet Sabine ein. „Wieso schlägt Marco meinem Mann die Nase platt, wenn er an seinen Ex-Mann erinnert wird?“
„Wegen der Parallelität der Ereignisse“, erläutert Rafael ungeduldig. „Das liegt doch auf der Hand. Außerdem hat er sich nie mit Finn darüber auseinander gesetzt, er hat ihn einfach hinausgeworfen. Die Wut und die Enttäuschung hat er lieber in sich hineingefressen, anstatt sie herauszulassen. Und jetzt, in einer ähnlichen Situation, haben sich die aufgestauten Emotionen blitzartig entladen. Wie ich schon sagte: Ersatzbefriedigung.“
In diesem Moment heult Klaus vor Schmerzen auf, aber wir sind viel zu sehr in unsere Diskussion vertieft, um ihm Beachtung zu schenken.
„Ich hätte deiner Meinung nach also Finn einfach mal ein paar aufs Maul hauen sollen und alles wäre anders gekommen?“ frage ich. Rafaels Argumentation ist mir zu billig. Wie kann er annehmen, dass ein simpler Wutausbruch all das wieder ins Lot gerückt hätte, was zwischen Finn und mir falsch gelaufen ist?
„Unsinn“, erwidert Sabine und versucht Partei für mich zu ergreifen, „als ob Finn genauso schnell zu Boden gegangen wäre wie dieser Schlappschwanz hier!“ Mit dem Kinn deutet sie verächtlich auf ihren Mann. „Finn hätte Marco ungespitzt in den Boden gerammt!“
„Was?“ sage ich gekränkt. „Immerhin habe ich deinen Mann mit einem Schlag k. o. gehauen!“
Rafael schüttelt energisch den Kopf. „Nein, nein, nein. Gewalt ist natürlich keine Lösung. Schon Jesus hat damals auch die rechte Wange hingehalten, als …“ beginnt er zu dozieren, hört jedoch auf, als er meinen Blick sieht. „Was ich damit andeuten wollte“, sagt er schließlich, „ist, dass Marco entgegen seiner wiederholt geäußerten Meinung noch lange nicht mit Finn fertig ist.“ Er klingt wie ein Oberlehrer und es geht mir auf den Geist, dass er ständig meinen Exfreund aus der Tasche zaubert.
Zum Glück haben sich in dem Moment Sabines Kinder von ihrem Schock erholt. Annika deutet mit ihren kleinen Händchen auf Klaus, Rotz läuft aus ihrer Nase und Tränen aus ihren Augen. Simon rennt zu seinem Vater, schüttelt ihn heftig und fleht ihn an, nicht zu sterben. Sabine bekommt ein schlechtes Gewissen, weil ihre Kinder Zeuge einer gewalttätigen Auseinandersetzung geworden sind und sie doch eigentlich vermeiden wollte, sie überhaupt in die Ehekrise hineinzuziehen.
„Ich glaube, ich bin eine schlechte Mutter“, seufzt sie. „Irgendwie mache ich immer alles falsch. In zwanzig Jahren werde ich diesen Tag ständig aufs Butterbrot geschmiert bekommen. Sie werden mich hassen, weil ich ihren Vater verlassen habe, und sie werden ihren Vater hassen, weil er mich betrogen hat. Allerdings“, fügt sie mit einem leichten Unterton von Zufriedenheit hinzu, „werden sie dich wahrscheinlich auch hassen, weil du soeben ihr kindliches Bild des unbesiegbaren Vaters zerstört hast. Du kannst dich später an den Kosten der Psychotherapie beteiligen.“ Damit sammelt sie ihre widerstrebenden Kinder ein und verschwindet nach oben.
Auch Klaus rappelt sich vom Boden auf. Er blutet noch immer wie ein Schwein und erhält von Rafael den Rat, mit Colette – die von den hoch dramatischen Ereignissen nichts mitbekommen hat – das nächste Krankenhaus aufzusuchen. Bevor er die Treppe hinaufläuft, macht er einen großen Bogen um mich. Erst auf halber Strecke dreht er sich um und schüttelt drohend die Faust.
„Es tut mir Leid, ehrlich!“ rufe ich ihm halbherzig hinterher, aber seiner Miene ist anzusehen, dass er mir kein Wort glaubt.
Rafael und ich bleiben etwas unschlüssig allein vor der Küche zurück. „Was für eine Art, einen Tag zu beginnen!“ stöhne ich und lasse mich erschöpft in einen Sessel fallen.
„Ja, hier geht’s richtig ab“, erwidert mein Engel grinsend und klopft mir auf die Schulter. „Morgenstund hat Gold im Mund!“
„Hör auf, diese dämlichen Sprüche zu klopfen!“ Mir ist schleierhaft, woher
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