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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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über meine Beziehungsprobleme zu sprechen.
    Aber sie kennt mich zu gut, um nicht doch intuitiv einen Treffer zu landen. „Ich habe diesen Finn ja nie kennen gelernt“, sagt sie, „aber dich kenne ich in- und auswendig. Wenn jemand nicht die Erwartungen erfüllen kann, die du in ihn setzt, kannst du sehr stur und unnachgiebig sein. Vielleicht hast du zu viel verlangt.“
    „Von wem habe ich das wohl?“ antworte ich und sehe meine Mutter beleidigt an. „Vater und du, ihr streitet euch doch auch ständig!“
    „Stimmt“, gibt sie zu, „aber wir vertragen uns immer wieder. Wir reiben uns zwar an den vermeintlichen Schwächen des anderen, aber wir verurteilen sie nicht.“ Lächelnd schiebt sie nach: „Das heißt nicht, dass ich deinen Vater nicht hin und wieder zum Mond schießen könnte. Er ist ein konservativer alter Knochen geworden. Manchmal muss ich aufpassen, dass er nicht zu bequem und lethargisch wird.“
    Ich murmele etwas Unverständliches vor mich hin, aber meine Mutter ist noch nicht fertig. „Und was ist das mit dir und Rafael?“ fragt sie.
    Ratlos zucke ich mit den Schultern. „Ich weiß es nicht“, antworte ich ehrlich. „Manchmal ist er unglaublich einfühlsam und verständnisvoll und dann wieder bohrt er in alten Wunden und hält mir erbarmungslos meine Fehler vor. Es macht mich völlig fertig.“
    „Du weißt, dass noch nie etwas Gutes dabei herausgekommen ist, wenn Menschen sich mit den Göttern eingelassen haben? Das hat schon Homer erkannt.“
    „Erstens habe ich mich nicht mit Rafael eingelassen, sondern er hat sich in mein Leben eingemischt, und zweitens ist er kein Gott, sondern ein Engel“, erwidere ich schnippisch.
    „Aus deiner Perspektive spielt dieser kleine Unterschied keine Rolle, Marco“, sagt meine Mutter und ich sehe sie nachdenklich an. Dann wechselt sie abrupt das Thema. „Und jetzt steh auf. Du hast genug geschlafen. Eigentlich bin ich ja hier, um dich zu wecken, weil wir alle zum Postamt gehen wollen. Das Christkind hat gleich seinen großen Auftritt. Simon ist schon ganz aus dem Häuschen.“
    „O nein!“ Ich lasse mich auf das Kopfkissen zurückfallen. Das Christkind und meinen Vorsatz, Rafael unbedingt von diesem Ereignis fernzuhalten, hatte ich völlig vergessen. „Habt ihr etwa Rafael davon erzählt?“
    „Natürlich!“ erwidert meine Mutter erstaunt. „Warum denn nicht? Es sind doch quasi ‚Berufskollegen‘. Er freut sich auch schon sehr!“
    „Mist!“ fluche ich und springe aus dem Bett und in meine Klamotten, ohne meiner Mutter eine weitere Erklärung zu geben. „So ein Mist!“
    Natürlich ist es müßig zu versuchen, Rafael die Teilnahme an dieser volkstümelnden Scharade auszureden. Gestiefelt und gespornt hat er sich mit dem Rest der Familie schon vor der Haustür versammelt und alle warten nur noch auf mich.
    „Beeil dich, Marco, wir wollen los!“ ruft Rafael mir zu, als ich nach unten komme. „Simon und ich wollen die Ankunft des Christkinds auf keinen Fall verpassen!“ Er hält meinen Neffen an der Hand und beide haben rote Wangen vor Aufregung.
    „Passt wenigstens auf, dass Rafael keinen Glühwein trinkt!“ zische ich meinen Eltern und Sabine zu, während wir uns auf den Weg machen. „Sonst kann ich für nichts garantieren!“
    „Kann Adolf mitkommen?“ fragt Simon. „Er hat bestimmt noch nie das Christkind gesehen.“
    „Das fehlt mir gerade noch“, antworte ich barsch.
    Der Wolkenbruch am Mittag hat den Schnee zu Matsch werden lassen, nur in den Ritzen des Kopfsteinpflasters haben sich noch ein paar weiße Überreste gehalten. Unter meinen Schuhen knirscht Salz. Es ist kalt und ungemütlich, als wir durch die engen Gassen des Dorfes schlendern, vorbei an Fachwerkhäusern und unscheinbaren, lieblosen Fünfziger-Jahre-Bauten. Ich bin froh, dass ich meine Handschuhe mitgenommen habe.
    Je näher wir dem Marktplatz und damit dem Postamt kommen, desto festlicher wird die weihnachtliche Ausstaffierung von Himmelstadt. Die Schaufenster der Geschäfte quellen über mit mehr oder weniger dezenten Hinweisen auf die bevorstehenden Weihnachtstage, selbst der Metzger und die Apotheke haben Geschenkattrappen mit bunten Schleifchen wie Köder zwischen Vorderschinken und Antistax -Venensalbe ausgelegt. Über die Straßen sind Leuchtketten aus blinkenden Sternen gespannt worden und die zwei großen Eichen in der Mitte des Dorfplatzes neben der Kirche sind ebenfalls mit funkelnden Lichterketten behangen. Es gibt sogar eine Art

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