Und dann der Himmel
Mal umrundet hat. „Marco ist so extrovertiert, ständig muss etwas passieren, damit er sich nicht langweilt. Jedes Mal, wenn ich ihn besucht habe, hatte er einen Plan vorrätig, wie das Wochenende verlaufen sollte. Ein neuer Film, den er sich ansehen wollte, ein Brunch mit Freunden, eine Party, auf der wir eingeladen waren, eine neue Kneipe, die er mir zeigen wollte. Das hat mir Angst eingejagt. Ich habe mich gefragt, was wohl passiert, wenn ich beginne, ihn zu langweilen. Also habe ich, ohne etwas zu sagen, alles mitgemacht, und zu Anfang war ja auch alles neu und interessant für mich, aber wenn ich mich sonntags auf die Heimfahrt gemacht habe, fühlte ich mich immer irgendwie atemlos und enttäuscht. Nie war Zeit nur für uns beide. Manchmal kam ich mir vor wie eine neue Dekoration, die Marco unbedingt herumzeigen wollte – vielleicht sind wir einfach zu verschieden gewesen.“
„Warum hast du nicht gesagt, dass du dich überfordert gefühlt hast?“
Finn zuckt die Schultern. „Ich hab es ja versucht.“ Seine Gedanken wandern zurück zu dem Tag, an dem er und Marco ihren ersten Streit hatten.
Es ist ein Freitagabend, nein, eher eine Freitagnacht im September, und Finn ist hundemüde, denn er hat am Nachmittag sieben Stunden auf der Autobahn verbracht, um zu Marco zu gelangen. Die lange Fahrt und die vergangene Woche stecken ihm in den Knochen. Am liebsten hätte er in aller Ruhe ein Glas Wein getrunken, sich danach ins Bett gelegt, ein wenig gekuschelt, und wäre dabei eingedöst. Aber Marco hat schon wieder andere Pläne gemacht, für sie beide. Da gab es ein neues Techno-Event, mitten in der Stadt, mit hochkarätigen DJs, mehreren Tanzebenen und Chill-out-Areas, das er unbedingt besuchen will. Marco hat dieses Glitzern in den Augen und er überhört die leisen Einwände, die Finn vorbringt. Er hat sich die ganze Woche darauf gefreut, auf diese Party zu gehen, und natürlich kommt es nicht in Frage, dass er ohne Finn dorthin geht, denn sie sind doch erst zwei Monate zusammen. Es ist wichtig für Marco, seinen neuen Freund herumzuzeigen. Es hat etwas mit Selbstbestätigung zu tun, als müsste er beweisen, dass er es geschafft hat: Seht her, ich bin nicht mehr allein! Finn hat dieses unterschwellige Bedürfnis von Marco begriffen, obwohl er es nicht versteht; ihm ist ihre Zweisamkeit genug. Deshalb ist er auch mitgegangen, obwohl er Menschenmengen und laute Musik unangenehm findet. Und nun steht er zwischen diesen halb nackten, im Rhythmus der Bässe zuckenden Männern und kann das Gähnen kaum unterdrücken, während Marco auf der Tanzfläche die Zeit und Finn vergisst. Finn sieht Marco eine Weile zu, hin und wieder wirft er einen verstohlenen Blick auf die Uhr und merkt, wie seine Beine immer schwerer werden.
Schließlich gibt er auf und wandert in die Lounge, wo ruhigere Musik, gedämpftes Licht und bequeme Sitze zum Ausruhen einladen. Finn atmet auf und geht an die Bar, um sich einen Kaffee zu bestellen. Danach lässt er sich auf ein Sofa fallen und rührt gedankenverloren Zucker in den heißen Kaffee. Finn hat Marco noch immer nicht gesagt, dass er etwas mehr Ruhe braucht, dass ihn Marcos Umtriebigkeit nervös macht. Er fühlt, dass er noch nicht einmal Zeit gehabt hat zu begreifen, dass er jetzt mit Marco zusammen ist. Hin und wieder zieht er die Einsamkeit an wie einen alten, abgetragenen Mantel, in dessen zerrissenem Futter er sich wärmen kann, während er Kraft sammelt, um sich den Anforderungen des Lebens zu stellen. Er würde den Mantel gerne mit Marco teilen, aber Marco hat noch nicht einmal bemerkt, dass es diesen Mantel in Finns Leben überhaupt gibt, und plötzlich ärgert diese Erkenntnis Finn.
„Müde?“ fragt eine Stimme und Finn schreckt hoch. Neben ihm sitzt ein Mann und grinst ihn mit einem Lausbubenlächeln an. Er ist jung, bestimmt zehn Jahre jünger als Finn, hat einen Harry-Potter-Haarschnitt und strahlend blaue Augen. Seine Finger, die unruhig mit einem Feuerzeug spielen, sind lang und feingliedrig, wie die Finger eines Klavierspielers.
Finn will eigentlich keine Gesellschaft, er will nur nach Hause und schlafen. Trotzdem lächelt er zurück und dann befindet er sich mitten in einem Gespräch mit diesem Mann, der Carl heißt und tatsächlich Klavier spielt, zumindest in seiner Freizeit, und irgendwie berühren sich ihre Hände und dann fängt Carl an, Finn zu küssen, und öffnet die obersten Knöpfe seines Hemdes und Finn lässt es geschehen und schließt die Augen.
Als er
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