Und dann der Tod
blödsinnigen Grund machte es ihr Schuldgefühle, ihm etwas vorzuwerfen, von dem sie genau wußte, daß es die Wahrheit war.
Aber die Wahrheit war nicht immer angenehm.
Andererseits, seit wann betrachtete sie die Dinge nur schwarzweiß? Kaldak war ein sehr komplizierter Mann, und sie hatte schon oft erlebt, daß komplizierte Menschen in der Lage waren, sowohl Gutes als auch Böses zu tun.
»Haben Sie endlich eine Entscheidung getroffen?« Kaldak fixierte sie mit seinem Blick.
»Was für eine Entscheidung?«
»Haben Sie nicht dagegen angekämpft, sich im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden?« Er lächelte plötzlich. »Ich glaube, Sie haben verloren. Wissen Sie, Sie sind zu weich. Das Leben muß sehr hart für Sie sein.«
»Für jeden ist das Leben hart.« Aber es war noch härter, wenn man jemandem über den Weg lief, der anscheinend Gedanken lesen konnte.
»Ich sehe es an Ihrem Gesicht. Es ist ein offenes Buch.«
Sie rümpfte die Nase. »Ich weiß. Sie würden sich wundern, wenn Sie wüßten, welchen Nachteil das für meine Karriere bedeutet.«
»Ich kenne mich mit Gesichtern aus. Mich überrascht überhaupt nichts.«
In seiner Stimme lag keine Verbitterung, was sie wiederum überraschte. Wie mußte es gewesen sein, mit so einem furchterregenden Gesicht aufzuwachsen?
Vielleicht war er ja auch gar nicht damit aufgewachsen.
Vielleicht hatte er als Kind völlig normal ausgesehen. Seine blauen Augen waren vollkommen in Ordnung und – »Was denken Sie?«
»Daß Sie schöne Augen haben«, sagte sie, ohne nachzudenken.
Er blinzelte irritiert. »Oh.« Er wandte schnell den Blick ab.
»Wir haben in North Carolina ein sicheres Haus für Sie aufgetrieben. Ich fahre Sie morgen nachmittag hin.«
»Warum nicht morgen vormittag?«
»Wir müssen vorher noch zum CDC. Ich habe Ed gebeten, den Bericht über die mutierten Bakterien fertigzustellen. Es kann sein, daß ich etwas Schriftliches brauche.«
»Haben Sie Yael Nablett heute schon gesprochen?«
»Ich habe es heute morgen versucht, bevor ich aufgebrochen bin. Ich konnte ihn nicht erreichen.«
Sie runzelte die Stirn. »Müßten wir nicht … irgend etwas gehört haben?«
»Ich versuch’s morgen noch mal, bevor wir losfahren.« Er schwieg einen Moment. »Aber Sie sollten sich nicht zu viele Sorgen machen. Er wird wohl in den Bergen in der Nähe von Tenajo sein und ist mit dem Telefon nicht erreichbar.«
»Aber Sie versuchen es trotzdem?«
»Na klar«, sagte er.
Hatte in seiner Stimme so etwas wie Sanftmut mitgeklungen?
Sie mußte sich irren. Sie stand auf und ging zur Treppe.
»Ich habe Dr. Kenwood heute nachmittag angerufen. Josie geht’s prächtig.«
»Das ist gut.«
»Wir sehen uns morgen früh.«
Sie konnte seinen Blick förmlich spüren, als sie die Treppe hinaufging. Eigenartig, wie wohl sie sich mittlerweile in seiner Gegenwart fühlte. Na ja, wahrscheinlich würde sich jeder an einen Tiger gewöhnen, wenn er nur lange genug mit dem Tiger zusammen eingesperrt war. Aber das hieß ja noch nicht, daß sie Kaldak vertrauen konnte.
Aber sie vertraute ihm tatsächlich. Und sie war es leid, mit sich selbst und auch mit Kaldak herumzustreiten. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. Es wurde allmählich Zeit, daß sie aufhörte, immer wieder alles in Frage zu stellen und ständig hin und her zu schwanken. Das hatte sie ihr ganzes Leben lang getan. Sie mußte jetzt entschieden und verantwortungsvoll handeln.
Emily, die nie irgend jemanden gebraucht hatte, brauchte sie.
Sie mußte jetzt alles bis auf diese eine entscheidende Wahrheit außer acht lassen. Zum Teufel mit Kaldaks sicherem Haus. Sie würde Yael Nablett noch einen Tag geben. Wenn er keine Nachricht von Emily hätte, würde sie selbst etwas unternehmen.
Sollte Kaldak doch die Welt retten. Sie würde sich darauf konzentrieren, Emily zu retten.
»Anthrax«, wiederholte Ramsey am anderen Ende der Leitung.
»Mein Gott, Kaldak, das kann ich nicht geheimhalten.«
»Nur zu. Sagen Sie es dem Präsidenten. Mal sehen, was er ohne wasserdichte Beweise unternehmen wird. Für ihn muß doch immer alles von harten Beweisen untermauert sein. Selbst wenn wir ihm den Bericht des CDC vorlegen, gibt es keinen Beweis, daß sich Tenajo hier wiederholen könnte.«
»Mist.«
»Genau.«
»Bis wir den Beweis haben, ist es vielleicht schon zu spät, und dann muß wieder einmal die Firma den Kopf hinhalten. Die Politiker werden schneller abtauchen, als man blinzeln kann.
Was glauben Sie, wieviel Zeit
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