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Und dann kam Ute (German Edition)

Und dann kam Ute (German Edition)

Titel: Und dann kam Ute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atze Schröder
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durfte er noch nicht einmal bei den Rauchern am Fahrradständer stehen – selbst wenn er geraucht hätte, was er natürlich nicht tat. Typen wie André sind einfach zu intelligent, um zu rauchen. Er war auch kein Streber, sondern wusste einfach, was er wollte. André wollte Schreiner werden. Sein Vater hatte in Rüttenscheid eine kleine Schreinerei, und die wollte André übernehmen. Es war ihm egal, was andere davon hielten. Schreiner werden war in den Achtzigern so uncool wie eine Friseurausbildung. Alle wollten nur BWL und Sozialpädagogik studieren. Darum ist die Welt heute voller verbitterter Frührentnerlehrer und abgezockter Versicherungsheinis.
    Überflüssig zu sagen, dass die Schreinerei Siebert heute eine der führenden Firmen auf dem Gebiet Ladenbau ist. Kennt doch jeder in Essen: «Wenn Siebert geht, der Laden steht.»
    Wie er Tina damals klargemacht hat, war uns allen ein Rätsel. Er trank nicht. Er hatte kein Moped. Er spielte nicht Gitarre. Er hatte noch nicht mal ’ne Bürste in seiner Jeansjacke. Wir konnten es uns einfach nicht erklären. Zu guter Letzt einigten wir uns darauf, dass er wahrscheinlich einen Riesenpimmel hatte – es durfte einfach keine andere Erklärung geben.
    Ich grinste bei dem Gedanken über das ganze Gesicht und erschrak über meine eigenen Worte:
    «Tina, warum André?»
    Die Frage schien sie nicht im Mindesten zu überraschen. Sie lächelte fein.
    «Ach Atze, die Antwort ist ganz einfach. Er war der Einzige, der sich getraut hat zu fragen. Ihr ach so coolen Jungs wart doch nur damit beschäftigt, euch zu produzieren und vor mir den Affen zu machen. Aber André stand eines Tages mit einem selbstgepflückten Strauß Blumen vor der Tür. Als ich sah, wie er schlotternd vor Angst seinen ganzen Mut zusammennahm, um mich zu fragen, ob ich mit ihm eine Pizza essen gehen würde, da war es um mich geschehen. So einfach war das.»
    «Tina, ich bin gerührt. Und jetzt liegst du jede Nacht wach und träumst von mir?»
    Wir prusteten beide los.
    «Eins ist klar, von allen Jungs warst du immer der witzigste. Und der charmanteste. Und das größte Arschloch. Du hast doch deine Freundinnen gewechselt wie andere die Unterhosen.»
    «Tina, du hast ein völlig falsches Bild von mir. Es ist doch so: Ich hätte gerne mal ab und zu nein gesagt. Aber wenn man mich so lieb bittet? Ich hab nun mal ein großes Herz. Und ich hab sie alle geliebt. Nicht nur die Rosen, auch die Primeln. Guck mal, es ist ganz einfach: Ich kann keiner allein gehören. Ich bin wie ein Massai: In Gefangenschaft geh ich vor die Hunde. Ich muss frei sein. Aber sag du doch mal, ab wann hast du es denn bereut, im Gefängnis zu leben?»
    «Ganz ehrlich, Atze, ich bin zufrieden und glücklich. Wir lieben uns in guten und in schlechten Zeiten. André sagt immer: Eine Beziehung ist wie ein Stück Holz. Sie verändert sich permanent, und man muss sie pflegen, damit man lange was von ihr hat.»
    «Da spricht ja ein echter Philosoph. Nicht schlecht. Aber sehnst du dich nicht manchmal danach, auszubrechen und Abenteuer zu erleben?»
    «Machen André und ich ja auch, sooft es geht. Aber gemeinsam. Dann passen unsere ältesten Kinder auf unser kleines Nesthäkchen auf. Eines unserer wildesten Abenteuer spielt gerade mit deinem Schützling im Sand. Mit 43 noch mal Mutter zu werden ist nur eine gute Idee, wenn man sich wirklich liebt. Wir hatten es eigentlich endlich etwas ruhiger im Haus – schließlich sind die Großen ja schon auf dem Sprung in ihr eigenes Leben.» Sie nestelte an einer Tupperdose und versorgte die Kinder mit ein paar Butterkeksen.
    «Ach Tina, ich freu mich ja auch für euch, aber wann siehst du denn mal was anderes von der Welt als Windeln und Babybrei? Ich sag dir was – da draußen tobt das wahre Leben, und ich bin Gott sei Dank mittendrin.»
    Sie packte ihr Kind in den Kinderwagen und schnallte es an. Ich nahm Philipp und setzte ihn ebenfalls in seinen Buggy. Irgendwie hatte sich das olle Gurt-Gebamsel verheddert. Ich schwitzte wie ein Pavian und fummelte verzweifelt an den Riemen, bis Tina mich mit zwei geschickten Handgriffen erlöste und Philipp anschnallte. Dann sah sie mir ins Gesicht: «Gar nichts weißt du, mein großer Massai. Das wahre Leben sitzt direkt vor dir im Kinderwagen. Im wahren Leben zählt nur die Liebe. Liebe, die du gibst, Liebe, die du nimmst. Ja, es ist wahr: Ein Kind stellt dein ganzes Leben auf den Kopf. Plötzlich steht kein Stein mehr auf dem anderen. Alles ist neu und anders. Aber

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