Und dann kam Ute (German Edition)
morgen im OP erzählen! Haben Sie ’ne Autogrammkarte dabei?»
Resigniert unterschrieb ich mit dem spießigen Montblanc-Kuli auf seinem Mundschutz und verdünnisierte mich schnell zur Babypflege mit Schwester Sexy. Eine halbe Stunde später drückte ich Ute den frischgekämmten Philipp in die Arme. «Kann ich noch was für dich tun, bevor ich nach Hause fahre? Brauchst du noch was? Soll ich irgendjemandem Bescheid sagen?», fragte ich sie.
«Ruf doch bitte meine Mutter an und schreib meinem Bruder eine SMS. Wenn du morgen wiederkommst, bring mein Handy mit, das liegt noch auf dem Küchentisch. Und komm mal her, lass dich drücken.» Vorsichtig beugte ich mich zu ihr runter. Und da passierte es: Sie küsste mich. Auf den Mund.
«Danke», hauchte sie und legte ihren Kopf müde aufs Kissen.
Völlig übermüdet fuhr ich nach Hause, rief Utes Mama an und erzählte ihr alles, was sie über ihren kleinen Enkel wissen musste. Dann schrieb ich Utes Bruder eine SMS und setzte mich zum Runterkommen mit einer herrlichen Portion dänischen Gurkensalats vor den Fernseher. Lustlos kaute ich auf meiner Leberwurststulle rum. Eigentlich war ich viel zu müde zum Essen. Tausend Gedanken schossen mir gleichzeitig durch den Kopf. Dass so ein kleiner Mensch aus einem anderen Menschen rauskommt – unfassbar. Was für ein Wunder! Und alles nur wegen so ein bisschen rein und raus. Oder war es umgekehrt? Rein raus, raus rein, chucko chucko, bunga bunga oder, wie der Hawaiianer sagt, njacka njacka. Am Ende des Tages zählt doch nur das wundervolle Ergebnis.
Und noch etwas: Hatte Ute mich wirklich geküsst, oder hatte sie mich nur geküsst? Warum hatte sie mich überhaupt geküsst? Bestimmt war es nur wegen dieser Mutterhormone, von denen man so viel hört. Vielleicht war es auch nur ein Dankeschön? Aber dafür war der Kuss ein bisschen zu gut. Zwar ohne Zunge, aber trotzdem gut. Andererseits soll es ja Menschen geben, die gar nicht schlecht küssen können. Ich erinnerte mich daran, wie Bastian Pastewka mal zu mir sagte: «Pamela Anderson ist echt nicht lustig, aber mein Gott, kann die Alte küssen!»
Ich nahm mir fest vor, sie morgen oder noch besser irgendwann mal danach zu fragen. Jetzt zählte erst einmal nur unser Baby.
Was für eine Veränderung in unserem Haus! Da, wo Rundbürsten-Helga noch vor einem Jahr achtzig Mentholzigaretten pro Tag ins Tapetenmuster gehustet hatte, würde jetzt bald ein kleiner Hosenscheißer Lego-Duplo-Teile durch die Gegend werfen. In selben Zimmer, in dem Mademoiselle Sylvie mit mir Taschenbillard gespielt hatte, würde nun so ein unschuldiger kleiner Erdenbürger mit einem Haufen Stofftieren in seinem Heiabettchen kuscheln.
Tausend Dinge gab es noch zu tun. In diesem Haus wurden jetzt andere Saiten aufgezogen, so viel war klar. Wir mussten Verantwortung übernehmen. Ich würde hart durchgreifen und mich nicht scheuen, Ross und Reiter zu nennen: Gomera-Gerd durfte ab sofort nur noch auf dem Balkon kiffen, weil die Cannabisdämpfe durch das große altmodische Schlüsselloch entweichen und das ganze Treppenhaus kontaminieren konnten. Ich musste mit Kati und Hajo sprechen. Sollte die miese Töle Flöcki auch nur einmal bellen, während mein Philipp schläft, würde ich den Köter höchstpersönlich beim Chinaimbiss «Chow-Chow» am Kennedyplatz abliefern.
Sollte Kati, das Libidomonster, noch einmal irgendein wehrloses Opfer in der Kartoffelkiste vernaschen, würde ich sie bei der Sitte anschwärzen. Mein Entschluss stand fest: Ich würde für ein sauberes, ehrenwertes Haus kämpfen. Das war ich diesem großartigen Jungen einfach schuldig. Er sollte in Frieden und Ruhe aufwachsen. Das bedeutete in letzter Konsequenz aber auch, dass wir Erwachsenen als gutes Vorbild vorangehen und ein moralisch einwandfreies Leben führen mussten. Bei diesem Gedanken übermannte mich die Müdigkeit.
Ich wusste nicht, wie viele Stunden ich gepennt hatte, aber als mein Telefon klingelte, ging ich ran.
«Hallo, Herr Schröder», säuselte eine durchaus angenehme Stimme in meine Ohrmuschel. «Schwester Anja hier, von der Säuglingsstation. Wir waren doch zum Waschen verabredet?»
«Ja Mensch, Schwester Anja, ja hallöchen … das ist ja ’ne Überraschung. Das trifft sich gut. Ich fühl mich gerade so dreckig, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Hier liegt praktisch ein absoluter Notfall vor. Kommen Sie bitte ganz schnell in die Kurt-Schumacher-Straße 10 … und Schwester Anja … wenn Sie an einem Kiosk
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