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Und dann kusste er mich

Und dann kusste er mich

Titel: Und dann kusste er mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dickinson Miranda
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Atempause zu gönnen und stattdessen mir die Ehre ihrer mütterlichen Aufmerksamkeit zu gewähren.
    »Hältst du es in diesem Job immer noch aus?«
    »Ja, doch. Der Intendant hat meiner Abteilung für unsere Arbeit in diesem Jahr einen Bonus zukommen lassen.«
    »Doppelt verglast, einfach bezahlt, so was in der Art, oder?«, feixte mein Vater, sichtlich stolz auf seinen messerscharfen Witz.
    »Entgegen der hier verbreiteten Meinung schreibe ich nicht nur Werbesongs für Doppelglasfenster«, protestierte ich. Aber natürlich stieß das auf taube Ohren (und damit waren nicht nur die von Gran gemeint).
    »Das mag ja sein«, fuhr Mum fort, während sie zur Vervollkommnung der Puddingpampe, die traurig in unseren Kristallschälchen schwappte, eine Schüssel mit zu lange geschlagener, flockiger Sahne herumreichte. »Trotz dem ist das Komponieren von kleinen Werbesongs für Birminghams drittbeliebtesten Radiosender nicht gerade eine glanzvolle Karriere, oder?«
    Auf dieses Thema hatte ich schon den ganzen Tag gewartet. Tatsächlich war ich ziemlich beeindruckt, dass sich meine Mutter bis jetzt – fast vier Uhr nachmittags – zurückgehalten hatte. Niemand wollte eine Enttäuschung für seine Eltern sein, auch wenn sich das manchmal nicht vermeiden ließ. Bei mir – Werbesongkomponistin und Wochenendpartybandsängerin, ohne irgendetwas, das auch nur ansatzweise einem Fünf-Jahre-Karriereplan ähnelte – war das praktisch ein Dauerzustand. Meine Mutter wurde nicht müde, mich wie stetes Wasser den Stein zu bearbeiten, und variierte nie ihre Taktik: Es war jedes Mal, wenn ich zu Besuch kam, dieselbe Leier.
    »Ich will ja nur darauf hinweisen, dass du in etwas über einem Jahr dreißig wirst und dich langsam um einen seriöseren Beruf bemühen solltest. Du weißt, es gibt im Familienbetrieb immer einen Platz für dich. Dein Vater hat gesagt, er würde gern in deine Ausbildung als Buchhalterin investieren …«
    »Habe ich das?«, fragte Dad erstaunt und zuckte gleich darauf zusammen. Zweifellos hatte Mum ihm unter dem Tisch einen Tritt gegen das Schienbein verpasst. »Äh, natürlich, das tue ich gern.«
    »Du musst dir überlegen, was du mit deinem Leben anfangen willst. Dreißig ist ein Meilenstein, und du näherst dich ihm schneller, als du denkst. Deshalb solltest du die Zeit nutzen, um zu einer Entscheidung darüber zu gelangen, wer und was du sein möchtest.«
    Obwohl ich es ungern zugab, trafen mich die Worte meiner Mutter bis ins Mark. Vielleicht gingen sie mir auch deshalb so nah, weil ich in den vergangenen Tagen wegen der Begegnung mit dem Fremden und der angespannten Situation mit Charlie so viel Innenschau betrieben hatte – doch der Gedanke, mein neunundzwanzigstes Lebensjahr sinnvoll zu nutzen, begann zunehmend zu einem zentralen Thema zu werden.
    Als ich später am Abend wieder in meinem friedvollen Zuhause weilte, eingelullt von den beruhigenden Klängen von Bing, Frank und Nat im Hintergrund und dem Anblick meines bunt geschmückten Weihnachtsbaums, dessen Lichterkette mein Wohnzimmer mit einem sanften Leuchten erhellte, schenkte ich mir das längst überfällige Glas Rotwein ein und betrachtete die tränenförmige Christbaumkugel. Vielleicht waren die Ereignisse dieser Woche bedeutungsvoller, als ich anfangs gedacht hatte. Vielleicht waren sie Teil eines noch unsichtbaren Musters, das sich im nächsten Jahr herauskristallisieren und meinem Leben eine neue Richtung geben würde? Je mehr ich darüber nachdachte, desto überzeugter wurde ich, dass dies alles nicht nur eine Aneinanderreihung von Zufällen sein konnte. Wollte mir das Universum etwas mitteilen?
    Ich schnappte mir meinen Laptop und loggte mich bei Facebook ein, um zu sehen, ob jemand von der Band online war. Das war nicht der Fall, aber dafür fiel mir der Pinnwandeintrag einer alten Schulfreundin ins Auge, mit der ich erst vor kurzem über Facebook wieder in Kontakt getreten war: Nächstes Jahr um diese Zeit wird vieles anders sein. Ich werde alles tun, um das Jahr sinnvoll zu nutzen.
    Ich trank einen großen Schluck Wein und starrte auf den Monitor. Plötzlich schienen die Wörter frei in der Luft zu schweben, und ihre Sentimentalität stieß eine Saite in mir an.
    Das war es! Auch ich würde mich bemühen, das kommende Jahr – mein letztes in den Zwanzigern – sinnvoll zu nutzen. Ich hatte keine Ahnung, wie das geschehen sollte oder welche Konsequenzen es nach sich ziehen würde, doch plötzlich überfiel mich die blitzartige Erkenntnis,

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