Und dann kusste er mich
dir bei dem anderen Typen nicht genauso ergehen wird?«
»Natürlich kann das passieren. Aber das ist Teil des Abenteuers, verstehst du? Es spielt keine Rolle, ob ich die Suche bis zum Schluss durchziehe oder nicht. Entscheidend ist, dass ich es überhaupt versucht habe.«
Wren seufzte. »Du willst dich also wirklich auf die Suche machen, du verrücktes Huhn. Versprich mir bitte, dass du nichts Dummes tun wirst, okay? Und dass du mir alles erzählst. Irgendjemand muss schließlich auf dich aufpassen.«
»Onkel Dudley hat mir seine Hilfe angeboten«, sagte ich rasch, doch das schien Wren keineswegs zu beruhigen.
»Trotzdem musst du mich ständig auf dem Laufenden halten. Versprochen?« Sie hielt mir die Hand entgegen.
Ich schlug ein. »Versprochen.«
Am nächsten Morgen goss es in Strömen. Der Regen hüll te alles in einen dichten Dunst, nur die Weihnachtsbeleuchtung auf den Straßen und an den Häusern kämpfte tapfer gegen das trübe Grau an. Nach einer ermüdenden Fahrt durch endlose Verkehrsstaus kam ich schließlich bei der alten Schuhfabrik an, wo Tom einen Proberaum gemietet hatte. Charlie und Jack waren bereits da und hockten mit mürrischen Mienen auf den geschwungenen Stufen des heruntergekommenen Art-déco-Gebäudes.
»Lasst mich raten: Wir warten auf Tom, richtig?«
Jack zog eine Grimasse. »Korrekt.«
»Wie lange seid ihr schon da?«
»Seit achtundzwanzig Minuten«, antwortete Charlie und deutete auf seine Uhr.
»Er zählt die Sekunden«, bemerkte Jack. »Ich wurde jede Minute auf den neuesten Stand gebracht. Wie bei einer Live-Übertragung von CNN.«
Ein eisiger Wind kam auf und blies Regen in den Hauseingang. Fröstelnd schob ich meine Hände tiefer in die Taschen und verfluchte mich selbst, weil ich meine Handschuhe vergessen hatte. »Ich wäre früher hier gewesen, aber der Verkehr war wirklich mörderisch.«
»Du hast nicht unbedingt etwas verpasst, Rom. Wren verspätet sich auch, aber das ist ja nichts Neues … Na endlich«, rief Charlie und blickte über meine Schulter auf die Straße. Als ich mich umdrehte, sah ich Tom, der über die Pfützen hüpfend auf uns zueilte. »Hast du deine Uhr verloren?«, fragte Charlie süffisant.
»Tschuldigung«, zirpte Tom. »Romily, wie immer bezaubernd.« Er gab mir einen Kuss auf die Wange, umarmte mich und begrüßte dann die Jungs mit erhobener Hand. »Jack, Charlie, alles klar?« Rasch schloss er die Haustür auf, klatschte in die Hände und grinste uns zu: »Bereit zum Entladen?«
Jack lachte, doch Charlie wandte sich mit verdrießlicher Miene um, fluchte leise vor sich hin und ging auf seinen Wagen zu, in dem sich die Ausrüstung befand. Tom verdrehte die Augen.
»Wie ist der denn drauf? Weißt du, was er hat?«
Jack zuckte die Achseln. »Keine Ahnung.«
Nachdem die Ausrüstung sicher ins Haus gebracht worden war, wechselten wir uns beim Be- und Entladen des alten Lastenaufzugs ab. Charlie und ich bildeten ein Team: Wir packten den Lastenaufzug voll, gingen zu Fuß in den ersten Stock, um die Sachen (Gitarren, Trommeln, Verstärker, Kabeltaschen) auszuladen, rannten dann wieder nach unten und wiederholten das Ganze.
Die stupide Tätigkeit machte jede Unterhaltung überflüssig, was mir nur recht war, denn unerklärlicherweise hatte ich in Charlies Gegenwart Schmetterlinge im Bauch.
Inzwischen war auch Wren aufgetaucht, und nachdem alles in den ersten Stock befördert worden war, schnappte sich jeder ein Teil der Ausrüstung und trug es durch die hohen, staubigen Flure in Toms Proberaum, der durch eine schwere Stahltür gesichert war.
Seit der Gründung von The Pinstripes hatten wir schon etliche Proberäume, von winzigen »schallisolierten« Garagen bis hin zu dubiosen Hinterzimmern in Musikgeschäften, wo die Mikrofonständer mit Bolzen am Fußboden verankert waren. Dagegen war Toms Proberaum ein wahrer Palast: Sein Inneres stand in starkem Kontrast zu dem nüchternen Industriedesign des Hauses, sobald man durch die dicke Stahltür trat. Mit den langen weißen Vorhängen, den wuchtigen Sofas, die um einen alten chinesischen Läufer gruppiert waren, und der Kommode aus den vierziger Jahren, die als Tisch für das Mischpult diente, ähnelte der Raum einem Secondhandladen. Ein Tablett mit verblichener Rosenbemalung, das auf einer mit Klebeband umwickelten Kiste stand, bot Platz für den Teekessel, einige bunt zusammengewürfelte Tassen, Kaffee, Tee und eine leicht ramponiert aussehende Packung Zucker. Überall hingen Lichterketten, und
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