Und dann kusste er mich
nach seinem Rasierwasser, und meine Lippen kribbelten von unserem kurzen Kuss, doch mehr war von diesem bedeutsamen Ereignis, das mein ganzes Leben hätte verändern können, nicht zurückgeblieben.
Ich wusste über ihn nur das, woran ich mich erinnerte. Wie man es auch drehte und wendete, er war einfach ein Fremder von vielen in einer anonymen Großstadt, ein Leben, das parallel zu meinem existierte. Es bestand kaum eine Chance auf ein Wiedersehen. Doch als er mir in die Augen gesehen und mich geküsst hatte, war es mir vorgekommen, als würde ich ihn schon immer kennen. Über die bloße Anziehung hinaus gab es eine Verbindung, die tiefer in mir nachhallte, als ich es je zuvor bei einem Menschen erlebt hatte. Trotz der vielen Bekanntschaften und Freundschaften, die ich im Lauf meines Lebens geschlossen hatte, genügte diese eine Begegnung, um mein Leben unwiderruflich zu ändern.
Und deshalb musste ich ihn finden.
2
Dream a little dream of me
»Er ist ein Psycho .«
»Ist er nicht !«
»Oder irgendein durchgeknallter Stalker …«
»Wren, so war er nicht.«
»Woher willst du das wissen? Womöglich läuft er ständig durch die Gegend und küsst irgendwelche Frauen, denen er zufällig begegnet. Vielleicht holt er sich auf die Weise seine kranken, miesen Kicks …« Wren riss ihre kakaobraunen Augen auf. »Oder vielleicht küsst er Frauen, die er später kaltblütig ermorden will … Ach herrje, das war ein Judas kuss!«
Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich auf das riesige Sofa in Wrens schicker Wohnung fallen. »Ich wünschte, ich hätte es dir nicht erzählt.«
Mit ernster Miene legte mir Wren die Hand auf den Arm. »Nein, Rom, das war absolut richtig. Und sei es nur, damit ich dich davon abhalten kann, einen ganz, ganz schlimmen Fehler zu begehen.«
Manchmal frage ich mich, warum ich mit einer so theatralischen Frau wie Wren befreundet bin. Aber da sie Schauspiellehrerin ist, ist ihre übertriebene Attitüde möglicherweise berufsbedingt.
Eigentlich war ich nicht sicher, ob ich schon wieder darüber reden wollte, doch ich war immer noch benommen von dem gestrigen Erlebnis. Nach der ergebnislosen Verfolgung des Fremden war ich in einem Nebel aus Emotion und Schock zum Bahnhof gewankt. Erschöpft ließ ich mich auf einen Platz sinken und rief die einzige Person an, die mich verstehen würde. Wren war seit der Grundschule meine beste Freundin, und sie kannte Charlie fast genauso lange wie ich. Natürlich drängte sie mich, ich solle sofort mit dem Zug in die Stadt zurückfahren und bei ihr vorbeikommen, doch ich wollte nur noch schlafen. Also musste ich ihr versprechen, sie gleich am nächsten Tag zu besuchen.
Nach einer unruhigen Nacht mit wirren Träumen von Charlie und dem sagenhaften Fremden fuhr ich zu Wrens schickem Apartment, das am Kanal lag, nur ein paar Schritte von den eleganten Bars und Restaurants des Brindley Place entfernt.
Mit besorgt aufgerissenen Augen hatte Wren ruhig zugehört, als ich ihr von den Ereignissen des Vortags berichtete. Doch sobald ich fertig war, setzte sie zu einer nüchternen Analyse an.
»Wie ich die Sache sehe, ist dieser Typ nur eine Ablenkung vom eigentlichen Thema: der Sache mit dir und Charlie. Ich meine, komm schon, Rom, erst erzählst du Charlie, dass du ihn liebst, und Minuten später triffst du ›rein zufällig‹ die Liebe deines Lebens?«
»Es klingt absurd, ich weiß. Aber ehrlich, Wren, es war der intensivste, unglaublichste Moment, den man sich nur vorstellen kann. Ich habe fast aufgehört zu atmen …«
»Und zu denken.«
Es war sinnlos. »Vergiss es einfach, okay?«
Wren schenkte mir ihre beste Imitation eines ernsten Blicks (der in Wahrheit ungefähr so ernst war, als schaute man in die Augen eines Kätzchens). »Ach, Rom, tut mir leid, aber du musst zugeben, dass die Sache ziemlich schräg ist. Jemand, den du noch nie gesehen hast, taucht aus dem Nichts auf, macht einen auf edler Ritter und danach küsst er dich. Das ist doch total daneben. Und wenn er dich schon so toll findet, warum ist er dann so sang- und klanglos verschwunden?«
Genau diese Frage hatte ich mir auch schon mehrfach gestellt. Leider blieben die Einzelheiten dieser Begegnung nebelhaft verschwommen. Wer oder was auch immer ihn abkommandiert hatte, es schien wichtig gewesen zu sein. Doch da mir keine Zeit geblieben war, ihn besser kennenzulernen, woher sollte ich da wissen, was für ihn wichtig war?
»Keine Ahnung«, sagte ich schließlich. »Ich weiß nur, dass ich so
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