und das geheimnisvolle Erbe
geht sie nach Hause, um sich vor dem Kamin zu wärmen, ihr leckeres Butterbrot zu essen und Tee zu trinken.
Und leise in sich hineinzulachen, während sie an ihren Tag bei Harrod’s denkt. Ausgerechnet bei Harrod’s .
Tante Dimity war auf eine sehr normale Art unerschütterlich. Nichts hielt sie davon ab, Spaß zu haben, wo man Spaß haben konnte. Nichts hielt sie davon ab, etwas zu tun, wenn sie es tun wollte. Sie ließ sich von nichts unterkriegen, denn für sie war alles ein Abenteuer. Ich war wie verzaubert von ihr.
Später, als ich bereits ein Teenager war, fiel mir auf, dass es zwischen Tante Dimity und meiner Mutter eine gewisse Ähnlichkeit gab. Wie Tante Dimity so konnte sich auch meine Mutter an den kleinen Dingen des Alltags erfreuen. Und genau wie sie hatte auch meine Mutter eine außergewöhnliche Portion an gesundem Menschenverstand mitbe-kommen. Diese Eigenschaften sind eine kostbare Gabe für jeden, dem sie in die Wiege gelegt werden, für meine Mutter indes sollten sie sich als geradezu überlebenswichtig erweisen. Mein Vater starb kurz nach meiner Geburt, und nachdem die magere Prämie der Lebensversicherung aufgebraucht war, geriet meine Mutter finanziell in ziemliche Be-drängnis.
Sie war gezwungen, unser Haus und den Großteil der Einrichtung zu verkaufen und viel früher wieder als Lehrerin zu arbeiten, als sie es geplant hatte. Es muss schmerzlich für sie gewesen sein, in eine bescheidene Wohnung zu ziehen, aber noch viel schmerzlicher, mich jeden Morgen bei der Nachbarin im Erdgeschoss abzugeben, bevor sie zur Schule ging. Sie hat es sich nie anmerken lassen. Sie war eine allein erziehende Mutter, ehe allein erziehende Mütter von sich reden machten, und sie hat ihre Sache gut gemacht. Mir hat es nie an etwas gefehlt, und als ich beschloss, Chicago zu verlassen, um in Boston aufs College zu gehen, hat sie sofort einge-willigt und auch meinen Weggang verschmerzt.
Wenn wir zusammen waren, war sie immer fröhlich, umsichtig und unternehmungslustig. Genau wie Tante Dimity.
Meine Mutter war eine kluge Frau, und Tante Dimity war eines ihrer größten Geschenke an mich.
Ich weiß gar nicht mehr, wie oft Tante Dimity mich in ärgerlichen Situationen vor Schlimmerem bewahrt hat. In späteren Jahren, wenn mir etwa eine kurzsichtige alte Dame mit ihrem Einkaufswagen über die Zehen fuhr, brauchte ich nur daran zu denken, wie ein großer, dicker Mann Tante Dimity bei Harrod’s auf den Fuß getreten war. Wobei sie sein Gewicht bis auf fünf Pfund genau erraten hatte, denn später ergab sich die Gelegenheit, dass sie ihn nach seinem genauen Gewicht fragen konnte.
Bei dieser Szene konnte ich mich immer wieder ausschütten vor Lachen, so oft Mutter sie mir auch erzählte. Wenn ich mich nun daran erinnerte, versuchte ich, die Brillenstärke der alten Dame mit dem gefährlichen Einkaufswagen zu erraten, und obwohl ich es nie fertig gebracht hätte, mir meine Schätzung von ihr bestätigen zu lassen, musste ich bei dem Gedanken doch lachen, anstatt zu schimp-fen.
Nach allem, was man mir erzählt hat, muss ich ein recht fröhliches Kind gewesen sein, und die Geschichten von Tante Dimity hatten bestimmt ihren Teil dazu beigetragen. Aber es gibt Zeiten im Leben, wo selbst der vergnügteste Mensch in Stim-mungstiefs verfällt. Meine Stimmung sackte schlag-artig in den Keller, als ich mich plötzlich in Situationen fand, die es in den Geschichten von Tante Dimity nie gab: als kein Holz für das wärmende Feuer und keine Butter für das leckere Butterbrot da waren, als all die heiteren Tage plötzlich düster geworden waren. Es waren keine besonderen Er-eignisse, es war nichts Dramatisches oder Aufregendes, nichts, was nicht Millionen von anderen Menschen ebenfalls passierte. Aber dieses Mal passierte es mir, und zwar alles auf einmal, ohne Pausen zum Luftholen dazwischen. Ich befand mich in einer Abwärtsspirale, wie sie sich manchmal einfach ergeben. Und plötzlich war gar nichts mehr lustig.
Es fing damit an, dass meine Ehe in die Brüche ging. Nicht einmal auf besonders schmutzige Art und Weise, aber dennoch schmerzhaft. Als wir uns endlich zusammensetzen konnten, um alles zu regeln, wollte ich nur noch eine schnelle, saubere Trennung – und mehr bekam ich auch nicht. Ich hätte noch um Unterhalt oder um meinen Anteil am gemeinsamen Besitz kämpfen können, aber da war ich schon zu müde zum Kämpfen, zu müde, um meinen Platz noch länger zu behaupten. Mehr als alles andere jedoch war mir der
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