Und das Glück ist anderswo
und sich jeden Samstag grämte, weil sonntags niemand für ihn sorgte. Dann, ausgerechnet bei dem Gedanken, sie müsste mal versuchen, den Gelbstich aus seinen weißen Hemden und den Gardinen im Wohnzimmer zu bekommen, wurde sie so wütend wie seit Jahren nicht mehr. In ihrer Rage konnte sie sich noch nicht einmal entscheiden, ob sie die Idee, sie als eine Kombination von Hausdame und Dienstmädchen einzustellen, verletzend fand, skurril, einen typischen, rotzfrechen Männerstreich oder nur bedauernswert absurd.
Martha wiederholte ihre Ablehnung. Ihre Haut flammte den Zorn der Gekränkten. Ihre Hände wurden feucht. Schon spürte sie auch den Druck von Tränen. Ihr wurde übel, und das Zimmer begann sich zu drehen. Jedes Wort, das sie sagte, klang dennoch wie ein Schuss. Sie nahm genau Maß und verfehlte zunächst kein einziges Mal ihr Ziel. Und doch machte sie einen Fehler, einen nicht wieder gutzumachenden Kardinalfehler. Irgendwann schaute Martha Freund beim Abschuss ihrer Salven Samy Bronstein an. Sie bemerkte seine hängenden Schultern und dass er rote Flecken im Gesicht hatte und schwer wie ein Rennläufer atmete, der sich verausgabt hat.
Es war jedoch die Art, wie Samy die Hände in seine Hosentaschen schob, die sie am meisten verstörte. Der Mann, der mit seinem überraschenden Angriff aus dem Hinterhalt so verwegen wie ein junger Krieger begonnen hatte, war nun verlegen wie ein Schuljunge, der vom Schuldirektor beim Diebstahl ertappt worden ist. Den bittenden Augen dieses ertappten Jungen konnte sich Martha, die eine Tochter, eine Nichte und zwei Enkelkinder durch die Kindheit geleitet hatte, nicht entziehen. Hätte sie sich da, wenn auch nur im Moment der Entscheidung, an die flehenden Augen des Dackels erinnert, der immer in Cham an einem Haken vor der Bäckerei Freund angeleint wurde, wenn Schornsteinfegerswitwe Mosergruber ihre Frühstücksbrötchen holte, wäre ihr vielleicht rechtzeitig eine eigentümliche Variante des Lebens eingefallen. Ein bettelnder Blick, gleichgültig ob aus Hunde- oder Männeraugen, pflegt bei den meisten Frauen eine Überproduktion an mütterlichen Schutzinstinkten zu mobilisieren. Dass diese weichherzigen Frauen bedauernswerte Geschöpfe sind, die zeitlebens vergeblich gegen ihr Naturell kämpfen, wusste sie ja ohnehin. Genau das geschah.
Martha schaute nicht zum Fenster hinaus, nicht gründlich genug in ihre aufgewühlte Seele. Stattdessen tat sie einen tiefen Blick in Samys haselnussbraune Dackelaugen. Erst sagte sie zweifelnd: »Ach«, und dann staunend: »Wir können es ja mal probieren.« In ihrem Rock suchte sie nach einem Taschentuch, in ihrem Gemüt nach der Logik, die Frauen Ja sagen lässt, wenn die Antwort Nein ist. Als sie an den Herd eilte, weil der Topfdeckel fordernd klapperte, war sie immer noch fassungslos. Der Pichelsteiner Eintopf war genau richtig, das Fleisch nicht zu weich gekocht und nicht mehr zäh. Grün leuchtete die Petersilie in der Brühe. Martha fiel ihr seliger Mann ein, der immer Petersilie mit Dill verwechselt hatte, doch statt wie sonst bei dem
Gedanken an männliche Lernunwilligkeit den Kopf zu schütteln, lächelte sie.
»Das«, sagte Samy, als er mit der zweiten Portion begann, »ist Glück.«
»Das Glück«, wusste sie, »ist immer anderswo«, doch sie glaubte, als sie sprach, nicht an die Erfahrungen, die sie in neunundfünfzigeinhalb Lebensjahren gemacht hatte. Noch abends, als die Erinnerungen an den Tag sich anschickten, ihr den Schlaf zu nehmen, kam ihr der Gedanke, irgendwann und irgendwo könnte es das Glück doch schaffen, sesshaft zu werden.
Das Gespräch hatte sechs Tage vor der fälligen Rückkehr der Procters aus Kenia stattgefunden. Martha bereute ihre Zusage an Samy keine Minute, doch der Umstand verunsicherte sie. Sie kam sich wie ein junges Mädchen vor, das schon seine Koffer gepackt hat, um zu Hause auszuziehen, aber Ausschau nach einem Boten hält, der den Eltern die Botschaft überbringen soll. Samy Bronsteins Existenz auch nur zu erwähnen erschien Martha verwegen. Wie aber sollte sie begründen, weshalb sie künftig für einen Mann sorgen wollte, den sie eben erst kennen gelernt hatte? Sie bezweifelte, dass ihr nur ein passendes Wort einfallen würde, um Liesel und Emil die Situation zu erklären. Schlimmer noch: Selbst in ihren Träumen hörte sie ihre Tochter unaufhörlich reden, spotten, zetern. Liesel war nicht die Frau für Kompromisse. Sie hatte schon als Kind eine unangenehm schrille Stimme gehabt, wenn
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