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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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erste Mal seit Jahren, dass Samy wieder Deutsch las. Seine Kinder hatten das nie gern gesehen und behauptet, so würde sich ihr Vater nie in England integrieren.
    Eines Tages wachte dieser dickköpfige Vater auf und hörte jemanden eine Melodie aus dem »Land des Lächelns« pfeifen. Er brauchte einige Sekunden, bis er die Operette überhaupt erkannte und dann auch noch den fröhlichen Solisten entlarvte. Es war der Mann, der er jahrzehntelang nicht mehr gewesen war. Beim Blick in den Spiegel beschloss er, es endlich einmal mit dem Rasierwasser zu versuchen, für das seit Weihnachten in der U-Bahnstation
    Tottenham Court Road Reklame gemacht wurde. Die Katze Pussy erlebte ihrerseits alle häuslichen Veränderungen, ohne dass sie sich Gedanken über Zukunft und Sehnsucht machte. Sie wurde nun täglich frisch gebürstet. An Tagen mit besonders angenehmen Düften aus der Küche schnurrte sie schon, wenn Martha ihr mit der Bürste zuwinkte. Zudem lernte das kluge Tier, auch auf den Namen »Mieze« zu reagieren; statt zwei Hände forderte es nun vier an, um des Lebens Lust von Kopf bis Schwanz zu spüren. Mieze schwärmte neuerdings für gehackte Kalbsleber. Genau wie ihr Herrchen. Seine wurde mit Zwiebeln serviert, ihre mit einem Klecks Butter.
    An einem Samstag, zwischen einem späten Frühstück mit Eiern in einem Glas, das Martha aus ihrem Hausstand mitgebracht hatte, und einem geplanten Spaziergang in Hampstead Heath, wo gemäß der Jahreszeit die frühen Rosen und späten Hoffnungen blühten, machte Samy einen Vorschlag, den er als ebenso ungeheuerlich wie tollkühn empfand. Ging es um wichtige Entscheidungen, war er sonst eher ein Zauderer. Die selige Miriam hatte ihn des Öfteren gar als Memme abgetan. Bei Martha brachte er allerdings sein Anliegen so beherzt hervor, dass er den Mann, der da sprach, schon nach dem ersten Räuspern nicht mehr als den vereinsamten Witwer identifizierte, für den selbst er nur kränkendes Mitleid empfunden hatte. Vor der Begegnung mit Martha hatte er gar erwogen, sich für einen Bridgekurs in Golders Green anzumelden, um einen Grund zu haben, regelmäßig aus dem Haus zu gehen. Nun wiesen die Zeiger seiner Lebensuhr allerdings in eine ganz andere Richtung. Martha, schlug der Mann des Entschlusses vor, »könnte vielleicht, aber nur wenn es ihr genehm ist«, doch täglich nach seinem Haushalt schauen.
    »Ihn führen, meine ich«, präzisierte er. »Ganz offiziell, versteht sich. Gegen ein Entgelt, über das wir uns bestimmt einigen werden. Wie sich das gehört. Das hat nichts damit zu tun, dass wir privat gute Freunde geworden sind, Martha. Das Geschäftliche muss stimmen. Gerade unter Freunden. Das habe ich sehr früh in meinem Leben gelernt, und darauf bestehe ich.«
    »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, wehrte sie ab. Ihr Ton war so unliebenswürdig, dass Samy und sie gleichermaßen erschraken. »Ich hab mein Auskommen und muss nichts dazuverdienen. Das käme mir auch nie in den Sinn. Und außerdem würde meine Familie nie erlauben, dass ich arbeiten gehe. Nie und nimmer. Keiner von denen. Mein Schwiegersohn schon gar nicht. Emil ist ganz altmodisch in solchen Dingen. Der sieht es ja schon nicht gern, dass meine Tochter ihm seine Geschäftsbücher führt.«
    »Gegen wie viele Leute müsste ich mich denn durchsetzen?«
    »Gegen vier und allesamt besondere Dickköpfe.« »Dreschen die denn alle gleichzeitig auf einen alten Mann und eine unschuldige Katze ein?«
    »Keine Ahnung. So etwas ist ja noch nie vorgekommen in unserer Familie.«
    »Lass mich nur machen, Martha, bitte. Gib mir wenigstens eine Chance. Mit Dickköpfen habe ich mich immer gut verstanden, und ich habe sie sogar recht gern. Sonst müsste ich mich jeden Morgen beim Rasieren ohrfeigen. Und meine Rebekka hätte ich schon als Vierjährige aus dem Haus gejagt. Das Wort Ja hat nie zu ihrem Sprachschatz gehört. Meines Wissens hat sie es bis heute nur ein einziges Mal gebraucht. Und das ausgerechnet in einer Kirche. Als sie ihren Goi geheiratet hat.«
    Noch nicht einmal zwischen zwei Schlägen ihres Herzens kam Martha der Gedanke, sie könnte auf Samys Vorschlag eingehen. Grimmig - und selbstquälerisch detailliert -machte sie sich klar, was er einer fast sechzigjährigen Frau zumutete, die ihre Familie liebte und ihre Großmutterpflichten ernst nahm. Obwohl sie gerade das nicht wollte, begann sie sich in allen Einzelheiten vorzustellen, wie sie morgens um acht schon für Samy zum Metzger und ins Gemüsegeschäft lief

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