Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
Münzautomaten. Er ist zur gleichen Zeit Witwer geworden wie ich, nur halb so gesund wie ich und doppelt so miesepetrig. Er hinkt wie ein Hund mit drei Beinen und hustet wie eine alte Dampflok. Meistens hat er auch Eigelb auf dem Revers seiner Jacke und ungeputzte Schuhe, aber er trägt seine Nase immer noch verdammt hoch und tut so, als hätte er das Rad erfunden und den Krieg persönlich gewonnen.«
    »Was dir alles einfällt, wenn du in Fahrt bist«, staunte Martha, »und ich weiß noch nicht einmal, wie ich mit meiner eigenen Tochter sprechen soll, ohne dass wir uns beide zum Narren machen.«
    »Wetten, dass du untertreibst! Gerade das gefällt mir an dir. Du bist klug, aber du trägt deine Klugheit nicht wie ein Schild vor dir her.«
    Martha dankte mit dem überraschten Lächeln eines jungen Mädchens, das zum ersten Mal von seiner Mitwelt wahrgenommen wird. Sie klopfte Samy zärtlich auf die Schulter und pflückte ein paar Katzenhaare von seinem
    Jackett. Ihre Haut glühte. Sie nahm sich vor, am Abend Gott für ein Glück zu danken, von dem sie nicht gewusst hatte, dass es für Menschen im Alter überhaupt noch existierte. Das neue Glück war ein Wunder, ein Lebenselixier, eine Gnade. Nur den gefürchteten Tag der Konfrontation konnte es nicht aufhalten. Schließlich blieben Martha acht Stunden Galgenfrist. »Ich habe schreckliche Angst«, vertraute sie Samy beim Mittagessen an, »dass ich nicht das richtige Wort zum richtigen Zeitpunkt finden werde.« »Mach dir da mal keine überflüssigen Sorgen, meine Liebe. Soweit ich im Bilde bin, ist das bisher jeder Frau gelungen. Selbst meiner.«
    An dem heiteren Mittwochabend, als die vier Procters mit einer scheußlichen hölzernen Giraffe aus Kenia zurückkehrten, die so groß war wie ein vierjähriges Kind und ein Schild mit der Aufschrift »Jambo« um ihren zu dicken Hals trug, entschlüpfte Martha noch nicht dem Schutz der Gewohnheit. Sie erzählte nur das Allernötigste von sich selbst, beschränkte sich auf Wetterberichte, einen tropfenden Wasserhahn, den der Klempner für das Backen einer zweistöckigen Schokoladentorte repariert hatte, mit der er seine Frau zur Silberhochzeit überraschen wollte. Danach folgte das gebrochene Bein einer gemeinsamen Freundin und eine etwas langatmige Schilderung, weshalb sie noch nicht dazu gekommen war, Rhabarbermarmelade einzukochen.
    »Und keine Milch zu kaufen«, merkte Liesel an, »aber es macht nichts. Wir haben uns eine Kuh aus Londiani mitgebracht, um unabhängig von einer alten vergesslichen Großmutter zu sein.«
    »Du konntest nie melken, liebes Kind«, parierte ihre Mutter.
    Der ungewohnt scherzhafte Ton und die Erinnerungen an die Zeit, die nur sie beide miteinander teilten, taten ihr gut. Rose und David sprudelten noch mehr gute Laune als die Eltern. Geschichten, Anekdoten, Erlebnisse und Zukunftspläne, die aus diesen Erlebnissen entstanden waren, drängten aus ihnen heraus wie Wasser aus einem geplatzten Rohr. Souvenirs quollen aus den Koffern, die ersten Fotos waren schon entwickelt, gestochen scharf und doch für Martha fern und fremd. Lange schaute sie auf das alte Farmhaus, das ihr trotz der Beschwernisse der Emigration Heimat gewesen war. Sie hörte den Traktor, die Kühe, die Truthähne geifern und vom See abends die Frösche quaken. »Geht die Sonne immer noch so malerisch unter?« »Wir sind nicht so lange geblieben, um das nachzuprüfen«, sagte Liesel.
    Rose erzählte von dem Mann mit der Panga. Martha versuchte, sich eine Panga vorzustellen, doch sosehr sie sich auf Werkzeug und geschliffene Messer konzentrierte, sie sah immer nur ihre Tochter als aufmüpfige Achtjährige. Die kleine Liesel, mit Zöpfen und flammenden Wangen, hatte ein Berchtesgadener Jäckchen an, schwarz, grün, rot und mit silbernen Kugelknöpfen. Sie stampfte Wut in Afrikas Erde und schrie ahnungsvoll: »So etwas werde ich in meinem ganzen Leben nicht mehr anziehen.« Eine, die Zukunft witterte, wenn andere noch lange nichts sahen und hörten, war diese Tochter immer noch. Als die Heiterkeit von Emil und den Kindern ansetzte, zum lauten Jubel anzuschwellen, kniff sie die Augen zusammen und forschte mit Kennerblick im Gesicht ihrer Mutter. »Du siehst irgendwie anders aus als sonst«, sagte sie. »Ist dir was?«
    Um ihre Tochter auf Dauer in die Irre zu führen, schüttelte Martha zu heftig den Kopf, aber geschlagen gab sie sich nicht. Sie ließ wissen, dass sie in der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal Kopfschmerzen gehabt hatte

Weitere Kostenlose Bücher