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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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und weder Ärger mit ihrer Galle noch mit dem Mann von der Versicherung. »Ich habe«, sagte die Listige, »noch nicht einmal Nachrichten gehört.«
    »Mum wollte wissen«, interpretierte David, »ob du vielleicht beschlossen hast, dich von uns zu trennen, weil du entdeckt hast, wie angenehm das Leben allein ist.«
    »Ja«, erwiderte Martha, »das habe ich. Sofort. Gleich morgen. Nachdem ich deine Wäsche gewaschen habe.« Als sie ihr verlegenes Lachen hörte, wünschte sie sich den Mut, von dem Samy gesprochen hatte, und dass sie bei ihm und seiner schnurrenden Katze statt bei geliebten Menschen wäre, die das Gras wachsen hörten, ehe es gesät wurde. Ins Bett ging sie mit Kopfschmerzen und beim Aufwachen grämte sie sich, dass sie auf keines der vom Zufall so bereitwillig angelieferten Stichworte reagiert hatte.
    Dieser Zufall verübelte ihr indes nicht, dass sie eine Zauderin war. Drei Tage später gab er ihr eine zweite Chance. Rose war unerwartet früh nach Hause gekommen - erhitzt und trotzig, weil eine Verabredung, auf die sie sich den ganzen Tag gefreut hatte, nicht nach ihren Wünschen verlaufen war. Missgestimmt verabschiedete sie sich, um ins Bett zu gehen, setzte sich aber dann doch, als hätte sie die ganze Familie mit Engelszungen dazu überredet, mit an den Tisch, wo sie in frappierend kurzer Zeit eine halbe Schüssel Kirschkompott in sich hineinlöffelte. Sie ertränkte die Pracht in einem großen See von Sahne und leckte sich die Lippen sauber. »Zu süß«, sagte sie angewidert, schüttelte ihre langen Haare aus und runzelte die Stirn. »Müssen wir denn immer so essen, dass man bei jeder Mahlzeit zunimmt wie ein Mastschwein?« »Seit wann weißt du über Schweine Bescheid?«, fragte ihr Vater.
    In diesem Moment kam auch David nach Hause. Er nickte allen zu, sagte, Rose hätte ihm in die Hand versprochen, nie, auch nicht am Sabbat, mit einem Schwein zu reden, denn Schweine seien nicht koscher und außerdem zu fett. Er übersah den hasserfüllten Blick seiner Schwester. Seine Großmutter drückte er so fest an sich, als wäre er von einer Weltreise heimgekehrt. Davids Herzlichkeit, sonst für Martha Erfüllung und Seligkeit, machte sie verlegen. Sie kannte den Grund und schämte sich. Er spürte nichts und lachte.
    »Ich habe mir eine Arbeit gesucht«, sagte sie, als sie kaum noch an sich glaubte. »Aber ihr müsst euch keine Sorgen machen. Hier geht alles so weiter. Es wird euch an nichts fehlen. An gar nichts.« Sie sah, während sie sich dem Pathos ihrer Worte bewusst wurde und schauderte, allein den an, dessen Verständnis sie sicher war.
    Später konnte Martha nie mehr rekapitulieren, was sie mehr geängstigt hatte, die verblüffte Stille der ersten paar Sekunden oder der Sturm, der dieser Stille folgte. Rose weinte zunächst lautlos. Nach einer Weile wurden aus ihren Kindertränen lautes Jammern; sie bettete den Kopf in den Schoß ihrer Großmutter. Ihre Schultern bebten beängstigend.
    »Ich kann mir nicht denken, dass ich dich richtig verstanden habe«, versuchte es Emil. »Hör um Himmels willen auf zu weinen, Rosie. Es ist nicht das Geringste geschehen. Granny hat das doch gar nicht so gemeint.«
    »Doch das hat sie«, sagte Martha leise.
    David war blass. Er kaute, was er seit Jahren nicht mehr getan hatte, an seinen Nägeln. Die Stimme war so hoch und gequetscht wie vor dem Stimmbruch. Seine Augen machten ihn kurz zu einem Mann, der nicht verstehen will, und dann zu einem Kind, das nicht verstehen kann. »Das ist nicht fair«, presste er hervor. »Ich dachte, du liebst uns. So wie wir dich lieben. Ehrlich, das habe ich immer gedacht. Sorry, Mrs Freund. Hast du deinem Arbeitgeber schon die guten Fleischpflanzerln gemacht?« Die Mühe, die er sich mit dem deutschen Wort gab, hatte seine Wirkung. Sie zerschnitt das Herz seiner Großmutter.
    Und doch war eine, die verstand, eine die schon immer jene, die sie liebten, mit der Schlusspointe verblüfft hatte. »Vielleicht haltet ihr alle mal den Mund, ihr egoistischen Klugscheißer«, sagte Liesel. Ihre Stimme war leise und freundlich, die der überlegenen Wissenschaftlerin, die sie hatte werden wollen, als sie ihre Träume noch zwischen die Maisfelder von Londiani pflanzte. »Wenn sich meine Mutter eine Arbeit sucht, wird sie einen Grund dafür haben. Vielleicht ist sie es auch einfach nur leid, mit mir zu diskutieren, ob sie sich einen neuen Wintermantel leisten kann oder ob sie ihrer anspruchsvollen Enkelin einen Wunsch erfüllen soll, den

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