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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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gefallen und jedem gefällig zu sein, das größtmögliche Kapital zu schlagen. Rose hatte nie mit Eifer gelernt. Im Kindergarten weder Gedichte noch Lieder, in den ersten beiden Schulklassen ohne Freude Lesen. Mit
    Zahlen hatte sie sich zum Entsetzen ihrer Mutter besonders schwer getan. Dennoch hatte die gütige Fee, die bei dem reizenden Mädchen Dienst tat, nie die Hoffnung aufgegeben. Sie hatte für ihren Schützling gesorgt, als gehörte sie zu den Hochbegabten. Zu Emils Begeisterung und Liesels permanentem Erstaunen gelang es Rose sogar ganz bis zur Beendigung ihrer Schulzeit, sich den letzten Platz in der oberen Hälfte der Klasse und freundliche Bemerkungen im Zeugnis zu sichern. Mehr brauchte sie nicht, um allmorgendlich gut gelaunt aufzustehen, schon gar nicht das öffentliche Pädagogenlob, das meistens die Eltern mehr freute als die, die mit der Ehre bedacht worden waren. Der einzige Preis in dem auf Auszeichnungen ausgerichteten englischen Schulsystem war im Fall der Schülerin Rose Procter eine öffentliche Belobigung - zwei Jahre vor Schulabschluss hatte sie zum Gedenktag für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs im November die meisten künstlichen Mohnblumen verkauft, die zur Bekundung von Vaterlandsliebe an Mäntel und Jacken gesteckt werden. Entzückend hatte Rose in der Kensington High Street ausgesehen, melodisch mit der Sammelbüchse klimpernd, die Augen rehsanft, die kräftigen Brauen noch nicht gezupft, die langen Wimpern aber schon getuscht und der Lippenstift als jener Hauch von Rosa, der Geschmack und Individualismus bekundete. Ein rotes Kopftuch hatte sie so raffiniert gebunden, wie es Audrey Hepburn in ihren frühen Filmen tat - vorn zweimal um den Hals geschlungen und hinten unter dem hochgeschlagenen Kragen geknotet. Minirock und Mantel waren trotz des herbstlich harschen Zugriffs auf Haut und Wohlbefinden so kurz gewesen und so knapp um die Hüften, dass Männer aller Altersklassen und Nationalität verzückt zur Geldbörse gegriffen hatten. In Rose’ Sammelbüchse, so wurde bei der Abrechnung am nächsten Tag im Zimmer des Direktors festgestellt, hatte die Geldsumme bei weitem die Anzahl der verkauften Blumen übertroffen.
    Rose war eine Träumerin, aber eine, die sich nie hinreißen ließ, ihre Träume mit der Wirklichkeit zu konfrontieren. Sie war graziös und musikalisch, und sie tanzte gern. Wie alle kleinen Mädchen träumte sie von einer Karriere als Primaballerina, doch in der Ballettschule überwarf sie sich als Fünfjährige in der ersten Stunde so mit der Lehrerin, dass Liesel sie abmelden musste. Später waren erfolgreiche Sportlerinnen ihre Idole. Über Wimbledon verschlang sie jede Zeile, die sie fand, hörte jeden Radiobericht. Es war die Zeit, in der die Sportlehrerin Rose’ Talent für Tennis erkannte und vorschlug, sie an einen Verein zu vermitteln, dem es besonders um die Förderung von begabtem Nachwuchs ging. Eine Woche später legte Rose ein Attest vor, das ihr für ein Jahr jegliche sportliche Betätigung untersagte. Vater und Mutter beschuldigten sich wochenlang gegenseitig, sie hätten Rose Schützenhilfe geleistet, um den Arzt auf die falsche Fährte zu führen. Der verständnisvolle Mediziner war siebenundzwanzig, hatte sich gerade niedergelassen und, wie sich ein halbes Jahr nach dem Vorfall herausstellte, war öfters mit Rose im Kino gesehen worden.
    Am Silvesterabend, der das letzte Schuljahr der beiden Kinder einleitete, wurde in Hochstimmung und bei spanischem Sekt über die Pläne, Vorsätze und Wünsche für das kommende Jahr gesprochen. Zwischen Liesels gelungenem Roastbeaf und Marthas noch feinerer bayerischer Creme sagte Rose, eine Luftschlange im Haar und einen silbernen Stern auf der Stirn, ohne zu erröten: »Ich würde ja zu gern Schauspielerin werden, aber wenn ich mir vorstelle, wie viel die auswendig lernen müssen für ihre Rollen, wird mir ganz schwindlig. Ich könnte mir nie so viel Text behalten.«
    »Aber Rosie Posie, natürlich könntest du das«, widersprach David, der sich in seiner Literaturarbeitsgemeinschaft gerade mit Ionesco beschäftigte, »zum Beispiel könntest du die Kahle Sängerin spielen.«
    »Und mir die Haare abrasieren lassen. Das würde dir so passen!«
    »Na komm, so etwas würde ich dir doch nie vorschlagen. Die Kahle Sängerin ist wirklich eine Bombenrolle. Sie tritt den ganzen Abend nicht auf.«
    Zu Rose’ liebenswürdigsten Eigenschaften gehörte die Gabe, dass sie über sich selbst lachen konnte. Die spürbare

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