Und das Glück ist anderswo
Denkmodelle klammerten, die sich jahrhunderte-, nein jahrtausendelang bewährt hatten. Männliche Nachkommen hatten eine Zukunft, Töchter Heiratsaussichten. »Kommt Zeit, kommt Erleuchtung«, pflegte der Vater zu murmeln, war er in nachdenklicher Stimmung und spähte er doch einmal nach der materiellen Sicherheit, die sich Eltern seit Jakobs Zeiten für ihre Töchter gewünscht haben.
Die Mutter, die trotz des Glücks ihrer Ehe immer noch vorgab, sie würde nur an das glauben, was sie sehen, riechen, schmecken und anfassen konnte, ging noch einen Schritt weiter. »Kommt Zeit, kommt Liebe«, ließ sie an Tagen wissen, in denen sie ihre Zunge nicht ausreichend gezügelt hatte. Rose selbst, die verspielte Solistin auf der Lebensbühne, sprach nie von Zukunft, nicht von einer Ausbildung, die sie sich vorstellen konnte, oder von einem Beruf, der sie wirklich interessierte. Zwar war sie, wie ihre harmlosen Heimlichkeiten und die am Telefon geflüsterten Offenbarungen verrieten, oft verliebt, doch von der Liebe sprach sie nicht und schon gar nicht, wie es ihre Freundin Betsy bei jeder Gelegenheit tat, von einer Ehe oder von Kindern. Trotzdem waren sich Rose’ Eltern einig, dass ihr Kind, diese entzückend blühende, bald schon zur vollen Reife entwickelte Knospe, jung heiraten sollte. Dass sie dieses Glück an der Seite eines »anständigen Mannes mit einem guten Beruf« finden würde, stand für die hoffnungsfrohen Eltern außer Frage. Der Mann, der die kostbarste Trophäe auf dem Heiratsmarkt aus den Händen von Emil und Liesel Procter entgegennehmen würde, sollte selbstredend einer sein, der zu einer gebildeten, liberalen und assimilierten Familie passte, die traditionsgebunden und stolz auf ihr Judentum war.
Rose machte es ihren Eltern leicht, an den Weg und die
Endstation ihrer Lebensberechnung zu glauben. Als wäre dies selbstverständlich und in vielen Familien nicht der Anlass von monatelangen Querelen, war sie auch dann noch sonntags in die Religionsschule gegangen, als sie über ihre Teilnahme selbst entscheiden durfte. Hatte sie auch bei ihrem gutmütigen Lehrer mit seinem außerordentlich entwickelten Sinn für weibliche Schönheit nicht Hebräisch lesen gelernt, und hatte sie sich jahrelang mit dem äußerst umfangreichen Pflichtpensum einer jüdischen Frau nur insoweit beschäftigt, wie es nötig war, um den ihr so freundlich gesinnten Lehrenden nicht zu kränken, hatte sie doch eines der von Eltern ursprünglich angepeilten Ziele erreicht. Das wesentlichste sogar! Rose hatte im Laufe der Jahre ihrer religiösen Unterweisung eine kaum noch überschaubare Anzahl von jüdischen Jungen kennen gelernt - arme, reiche, durchschnittlich begabte, ehrgeizige, lernbegierige, fromme und Frevler. Diese jugendlichen Weggenossen vom Sonntagmorgen kamen entweder selbst als künftige hoch willkommene Heiratskandidaten in Frage, oder sie hatten ältere Brüder oder Cousins, die sich noch besser als präsumptive Ehemänner eigneten.
»Wenn ihr mich fragt«, hatte David gemutmaßt, als seine Schwester zu ihrem vierzehnten Geburtstag vorwiegend Mitschüler aus der jüdischen Sonntagsschule eingeladen hatte, »geht sie überhaupt nur wegen der Kerle hin.« »Mein lieber Sohn, wenn du erst mal eine Tochter hast, wirst du das nicht als Gotteslästerung empfinden. Religionsschulen sind heutzutage hauptsächlich dazu da, dass jüdische Töchter beizeiten jüdische Ehemänner finden. Oder hättest du gern einen Schwager, der Weihnachten einen Christmaspudding mit Brandy abbrennt und an
Knallbonbons zerrt, weil er der Meinung ist, der Messias wäre bereits zu den Menschen gekommen?«
»Wenn Rose einen Mann heiratet, der Puddings anzündet, werde ich bestimmt nicht an seiner Tafel sitzen. Erst recht nicht unter seinem Weihnachtsbaum. Wenn du es genau wissen willst, ich hätte noch nicht mal mehr eine Schwester. Eine Ehe mit einem Nichtjuden könnte ich Rose nie verzeihen. Das weiß sie auch.«
»Glücklich sind die Frommen. Gott hält sie nicht nur gesund, weil er ihnen den fetten Bacon zum Frühstück und Hummer zum Abendessen verbietet. Er erspart ihn jeden Zweifel an sich selbst. Der ist ja noch unbekömmlicher als Schweinefleisch und Krustentiere. Wenn ich mich aber richtig erinnere, hat Gott seinem eigenen Sohn verziehen, dass er sich taufen ließ.«
»Ach, deinen Humor möchte ich haben, Dad.«
»Und ich deinen Glauben, Sohn. Er schützt vor Melancholie und vor frühzeitiger Abnutzung des Gehirns.«
Ein Gespräch ohne
Weitere Kostenlose Bücher