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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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sich auf den Mund zu schlagen. Ihm war aufgegangen, dass er sich verirrt hatte. Grinsend schlug er sein linkes Bein über das rechte. Er wirkte kein bisschen weltmännisch mehr, eher wie einer, der zu viel getrunken hat und nun ausschließlich für seine Kumpel Possen reißt.
    »Fünf«, kicherte Rose.
    Ihre mädchenhafte Stimme und ihr gerötetes Gesicht irritierten Pascal so, dass er erst zu lange schwieg und dann trotz seines Vorsatzes, gerade dies nicht zu tun, zum Ausgangspunkt seiner Exkursion zurückkehrte. »Mein Bruder heißt Gaston«, sagte er. »Ich sehe ihn kaum noch. Er lebt in Marseille.«
    »Meiner heißt David«, fabulierte Rose bereitwillig. »Ich sehe ihn jeden Tag, aber ich habe mich daran gewöhnt. Es macht mir nichts mehr aus.«
    »He, du, du bist ja ein ganz witziges kleines Mädchen.« »Kein kleines Mädchen, Signore.«
    »Monsieur, ich bin kein Italiener. Wenn du ein Mann wärst, würde ich dir auf der Stelle einen Kinnhaken verpassen. So schaffe ich mir mit einem Kuss Genugtuung.«
    »Hilfe! So bin ich ja noch nie geküsst worden.«
    »Das merke ich. Aber mach dir keine Sorgen. Küssen kann man lernen. Besonders in Frankreich.«
    An diesem Abend war ein Wohnzimmer im Stadtteil Hampstead um ein Uhr nachts noch grell beleuchtet, und weder ein nervöser Vater noch eine erzürnte Mutter mochten noch an ein Konzert mit Überlänge glauben. Auch anderswo stand die Zeit nicht still. Rose, an Alkohol ausschließlich in kleinen Schlucken und dann nur am Freitagabend und zu den hohen jüdischen Feiertagen gewöhnt, war vom schweren Burgunder zunächst nur benommen. Der Wein führte sie jedoch so rasch in das Paradies, von dem Verliebte meinen, Gott hätte es für sie geschaffen, dass sie schon beim zweiten Glas ganz sicher war, sie hätte den
    Hauptgewinn aus Fortunas Füllhorn gezogen. Mit den Siebenmeilenstiefeln, die sie sich ein paar Stunden zuvor gewünscht hatte, um Freddy dem Langweiler zu entkommen, sprang die erste Liebe ihres Lebens auf sie zu.
    Die erblühte Rosenknospe setzte an, dem Gärtner klar zu machen, wie es ist, wenn ein junges Mädchen an einem einzigen Abend um Jahre älter wird, doch sie kam nicht weiter als bis zu einem klangvollen Auftaktseufzer. Pascal war längst nicht so erfahren, wie er vermutete. Er sah nur Rose’ Mund und ihre Augen, nichts jedoch von den Konsequenzen, die einem Mann, der sich verliebt hat, zu früh im Leben unliebsame Entscheidungen aufbürden. Das von einem übermütigen Liebesgott düpierte Opfer stellte sein Glas ab und nahm seine linke Hand von Rose’ Schulter. Nun ganz Mann und wahrlich kein Zaudernder, beschloss Pascal, ausschließlich die Gegenwart zu genießen und sich nicht von einem einzigen Gedanken an die Zukunft knebeln zu lassen. Aus einer Regung, die er sich schon am nächsten Tag nicht mehr erklären konnte, holte er aus der Innentasche seines Jacketts eine Postkarte.
    »Das ist das Negresco«, erklärte er, »damit du weißt, mit wem du es zu tun hast.«
    »Oh«, sagte sie ehrfurchtsvoll, »das ist ja ein Palast.«
    Dass er die Karte sofort wieder einsteckte und die bescheidene Art, in der dieses Prachtexemplar von Mann in einem roten Cordjackett sie hatte wissen lassen, dass er nicht zu den Armen dieser Welt gehörte, imponierte Rose. Umso mehr, weil ihr Vater ja immer wieder behauptete, nur die Engländer könnten mit Stil untertreiben.
    »Oh«, wiederholte sie. »Frankreich muss sehr, sehr schön sein.«
    »Sehr schön«, bestätigte Pascal in seinem singenden Eng-lisch. Er genoss das Lob wie schäumendes Krebsmus auf der Zunge, und noch mehr genoss er, dass die zarte Blume an seiner Seite, die so anregend nach Lavendel duftete, nicht nur seine Heimat bewunderte. Da hatte Pascal bereits vergessen, zu welchen Konsequenzen die rasche Entflammbarkeit seines Bruders Gaston geführt hatte, der nun, noch keine dreißig Jahre alt, in Marseille lebte und froh war, wenn er im Hafen Arbeit fand. Außer Schulden beim Lebensmittelhändler und dem Wunsch, einmal in seinem Leben ein Motorradrennen zu erleben, hatte Gaston nun eine Frau, die ihm in einem Streit das heiße Bügeleisen an den Kopf geworfen und ihn mit einer dreieckigen Narbe an der Stirn gebrandmarkt hatte, zwei Stiefkinder, die immer noch so greinten wie als Kleinkinder, und zwei eigene Töchter, die ihren Vater auch nicht besser behandelten als ihre Mutter und die Stiefgeschwister.
    Es war ein außergewöhnlicher Regieeinfall des Schicksals, dass Pascal und Rose, für die er nun

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