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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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immer gesessen«, sagte Liesel. Sie zeigte in Richtung des Maulbeerbusches. »Merkwürdigerweise hat es gern Maulbeeren genascht. Rose hat mal gesagt, es würde für seine ganze Familie Maulbeermarmelade kochen. Maulbeermarmelade mit Ingwer.«
    »Es wird wieder hier sitzen«, wusste Emil. »Eichhörnchen sind anhänglich.«
    »Eichhörnchen ja«, schniefte seine Frau.
    Es war das ruhigste Silvester gewesen, das je im Hause Procter gefeiert worden war, gedämpft, melancholisch, gedrückt und vom Abendessen bis zur letzten Minute des Jahres bedrückend. Resignation war ein unangenehmer Tischgenosse - besonders an Tagen, da der Kalender ausschließlich den Blick nach vorn empfahl. Martha und Samy hatten den Jahreswechsel mit Katze Mieze gefeiert. Samy hatte eine leichte Grippe hinter sich und Martha sich mit dem Arzt verbündet. Das Thermometer musste mindestens zehn Grad plus aufweisen, ehe er das Haus verlassen durfte. Liesel und Emil hatten die beiden um die Möglichkeit beneidet, in einer Atmosphäre zu feiern, in der nichts an Rose erinnerte. Ihrerseits hatten sie bei einer Flasche Rosé d’Anjou Zuflucht genommen und zu spät bemerkt, dass der Wein aus Frankreich stammte und er in ihrem speziellen Fall sehr viel weniger stimmungsfördernd war, als sie ihn von einer Geburtstagseinladung bei Emils Partner in Erinnerung hatten. David, besorgt wie immer, niemandem wehzutun und jedem etwas Gutes, hatte mit ungeduldigen Blicken, die abwechselnd der eigenen Uhr und dem Fernsehgerät galten, den Jahreswechsel abgewartet und war dann verlegen murmelnd, aber entschiedenen Schrittes in sein Zimmer gegangen. Von Rose war eine der üblichen Karten gekommen, diesmal mit der Auskunft, dass es in Nizza keinen Winter gebe und sie ohne Strümpfe auf einer Bank sitzen könne.
    »Wenigstens scheint sie noch zu wissen, was Strümpfe sind«, hatte ihre Mutter kommentiert, eine Spur zynischer als sonst. Seit der Lektüre eines Artikels, den ein junges Mädchen bei der Berufsberatung auf Liesels Schreibtisch hatte liegen lassen, bildete sie sich ein, Zynismus in moderaten Dosen wäre Balsam für eine erstarrte Seele.
    Nun schaute sie ihren Mann an, der inbrünstig hoffte, die Gedanken seiner Frau wären ausschließlich bei dem Marmelade kochenden Eichhörnchen. Sie waren es nicht, sondern zum Ausgangspunkt des Gesprächs zurückgekehrt. »Wahrscheinlich«, sagte sie, »gehört der Kartentrick mit den Nieten zum besonderen Charme unseres Sohns. Es soll bloß niemand dahinterkommen, dass sein Hintern gescheiter ist als bei den meisten Leuten der Kopf.«
    »Wo in aller Welt hast du das aufgeschnappt? In der Na-kuru School hätten sie dich für eine solche Ausdrucksweise auf der Stelle mit einem Flamingo erschlagen und im See ertränkt. Vorsicht, fang bloß nicht an zu lachen. Sonst denkt das neue Jahr, bei uns geht es immer so lustig zu, und dann haben wir den Schlamassel.«
    »Das mit dem Hintern hat Samy vor ein paar Tagen gesagt, als ich ihm die Kurzgeschichten von Somerset Maugham an sein Krankenbett brachte und bei ihm klagte, ich hätte immerzu Angst, wir könnten David auf die gleiche Art verlieren wie Rose.«
    »Und was wusste unser Meisterphilosoph zu deinem Problem zu sagen?«
    »Merkwürdigerweise wenig«, erinnerte sich Liesel. »Er hat nur gesagt: David wird bestimmt nicht auf die gleiche Art von zu Hause weggehen. Und dann hat er noch gesagt: Wir haben unsere Kinder nur von Gott gepachtet, nicht gekauft.«
    »Wenn du mich fragst, hat der gute Samy da mehr gesagt, als manche Leute je in ihrem Leben begreifen werden. Ich weigere mich, auch nur für eine Minute zu denken, dass wir unsere Rosie verloren haben. Sie ist zurzeit nur unabkömmlich. Wer weiß, vielleicht überlegt sie just in diesem Moment, wie sie wieder nach Hause kommen kann, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Leider spielt so etwas bei jungen Leuten eine große Rolle. Glaub mir, Liesel, irgendwie und irgendwann regeln sich die Dinge. Man muss nur Geduld haben. Und Vertrauen.«
    »Glaubst du eigentlich, was du sagst?«
    »Gerade in unserem Fall hat es Gott nicht verdient, dass wir so kleingläubig sind. Es ist absolut nicht abwegig, anzunehmen, dass er weiß, was er tut. Schau dir zum Beispiel die Sache mit Samys Sohn an. Der ist keineswegs General beim Militär geworden, wie er seinem Vater immer angedroht hat, sondern Vertreter des Generaldirektors bei einer recht bekannten Mineralölfirma, und wenn er gute Laune hat wie neulich bei Samys Geburtstag, gibt er seinem

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