Und das Glück ist anderswo
bei jedem Treffen »La vie en rose« pfiff, ehe er sie küsste, überhaupt zueinander gefunden hatten. Pascal hatte nämlich ein Minimum an freier Zeit, und die hatte der ambitionierte junge Mann ursprünglich für einen Englischkurs reserviert. An seinem letzten Tag in Nizza hatte er nämlich, wie immer ein wenig vorwitzig, mit Monsieur Pierrot gewettet, bei seiner Rückkehr würde ihn jeder für einen englischen Gentleman halten.
»Nur die Dummen, die Tauben und die Blinden«, hatte Monsieur Pierrot dagegengesetzt.
Monsieur Pierrot war Chefkoch im Negresco und auch der Vertrauensmann für die jungen Leute in der Ausbildung. Er hatte an dem geschickten, begabten und ehrgeizigen Pascal Boucher einen gewaltigen Narren gefressen und ihm mit viel Einsatz und Einfallsreichtum die Möglichkeit verschafft, ein halbes Jahr lang im berühmten Londoner Hotel Dorchester seine beruflichen Kenntnisse und seinen Horizont im Allgemeinen zu erweitern. Zum Abschied hatte Pierrot, bei Kollegen und Untergebenen als Mann mit dem siebten Sinn bekannt, sich als ein Visionär der Sonderklasse erwiesen. »Verlieb’ dich ja nicht in die erstbeste kleine Engländerin, die dir ins Bett krabbelt«, warnte er Pascal. »Erinnere dich an das Mädchen ohne Büstenhalter, das mit einem alten Knacker vom anderen Ende der Welt hier anreiste und dann unseren armen Chefpatissier um den Verstand brachte. Und um noch ein bisschen mehr, wenn du mich fragst. Auf dem Höhepunkt der Affäre hat der Trottel in die Millefeuille Arrak statt Grand Marnier gegossen. Das vergesse ich nie.«
Für Pascal bestand weniger Gefahr, sich in den Schlingen der Liebe zu verfangen, als für den unvorsichtigen Patissier. Sein Chef im Dorchester erachtete es als seine pädagogische Pflicht, junge Talente aus dem Ausland, die ihm zur Fortbildung anvertraut waren, von allen Lebensfreuden außerhalb der Küche fern zu halten. Pascals freie Zeit war auf einen Tag in der Woche beschränkt. Die Liebe war für Rose so neu, berauschend und fordernd, dass es ihr zunächst reichte, sechs Tage lang ihren jungen vermögenden Herzensmann aus der Ferne anzuhimmeln. Dass er sich um eines Zieles willen, das ihr noch unklar war, freiwillig den Mühen unterzog, wie die Werktätigen zu leben, beschäftigte sie sehr.
Am siebten Tag in der Woche trafen sich die Liebenden in dem möblierten Zimmer, das Pascal bei einer ertaubten Witwe in Notting Hill gemietet hatte. Die schätzte männliche Mieter mit weißer Hautfarbe und war bei ihnen nicht kleinlich, wenn sie Besucherinnen empfingen. Zudem tat Rose ihr Leid. Die Frau mit Erfahrung, zweimal geschieden und Mutter von drei Kindern, die alle unterschiedliche Väter hatten, kannte die Liebe, und sie kannte, wie sie glaubhaft beteuerte, die Männer. In weiblicher Solidarität und mit weiblicher Neugierde witterte sie, dass sich da ein Schicksal von tragischer Größe anbahnte.
»Ich geb’ dem Ganzen keine drei Wochen«, verkündete sie ihrer Nachbarin bei der Tasse Tee um elf Uhr morgens, »und dann kann ich das Bett neu beziehen.«
Die propere Prophetin irrte. Pascal und Rose waren Kinder ihrer Zeit, blind für die Kehrseite einer Medaille und beherzt nur, wenn sie der älteren Generation widersprachen. Zauderer waren sie beide, wenn sich die Wahrheit als einziges Mittel anbot, eine Krise zu meistern, ehe aus ihr eine Blessur fürs Leben wurde. Die Zeit, die der Abenteurer und die Naive miteinander verbrachten, nutzte keiner von beiden zur befreienden Tat, noch nicht einmal zu einem klärenden Gespräch. Spätestens als Rose beim Anblick des schäbigen Zimmers bei der Witwe Chopper jubelte: »Ich finde das fabelhaft, dass so ein reicher Mann wie du auch mal die andere Seite des Lebens kennen lernen will«, hätte Pascal sein Opfer aus dem Irrgarten der Missverständnisse herauslotsen müssen. Zunächst aber schmeichelte es ihm über alle Maßen, dass sie ihn für den Besitzer vom Negresco hielt.
Jedoch schon zwei Wochen später fand er die ganze Geschichte so grotesk, peinlich und verzwickt, dass er das Problem auf konventionelle Art zu lösen beschloss. Er nahm sich vor, den schönen Traum nicht vorzeitig zu beschädigen, Rose in ihrem Himmelreich zu belassen und seine Abfahrt, wenn schließlich der Tag gekommen war, nicht vorher an-zukündigen. Gestärkt von seinem Männermut wurde für Pascal die Liebe doppelt schön. Er vergaß die Schuldgefühle, die er gehabt hatte, weil Rose als Jungfrau zu ihm gekommen war. Erst recht vergaß er,
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