und das Goldene Dreieck
den braunen Karategürtel tragen durfte und die sich ab und zu in die Unterwelt bega b, wo die gleichen Gesetze, für die Cyrus stand, verdreht, wenn nicht gar gebrochen wurden. Das muß er doch als Ironie empfinden, dachte sie, aber Cyrus mochte Ironie. Trotzdem fragte sie sich einen Augenblick, ob die riskanten Aufträge, die sie von Carstairs bekam, nicht etwa ihre Denkweise verändert hatten.
Nein, versicherte sie sich, sie hatte immer noch Skrupel, und zu wissen, wie der Verstand eines Verbrechers funktionierte, war ebenso wichtig wie Puddingkochen und Geranienziehen in ihrem konventionellen Leben. Als sie das geklärt hatte - Mrs. Pollifax war von Natur aus gewissenhaft -, vergaß sie ihre moralischen Zweifel und gab sich ganz dem Vergnügen hin, mit Cyrus den Grand Palace zu besichtigen.
Hier streiften sie durch ein wahres Märchenland bunter Farben und glitzernder Pracht, durch einen regelrechten Wald von glockenförmigen Chedis mit vergoldeten, marmornen oder goldenen hohen Spitzen. Wenn sie unter der geschwungenen Architektur der Tempel mit ihren schrägen Dächern stehenblieben, wanderte ihr Blick über vergoldete Verzierungen, blaue Fliesen, Fresken in leuchtenden Farben, Bäume, Blumen und dazwischen die hohen dünnen Stiele von vergoldeten Parasolen, die wie gewaltige Goldkelche aussahen. Schließlich gelangten sie zum Tempel mit dem Smaragdbuddha, der Mrs. Pollifax enttäuschte, denn sie hatte erwartet, daß er zumindest so groß wäre wie der fünfeinhalb Tonnen schwere Goldene Buddha, er war jedoch nur ungefähr siebzig Zentimeter hoch und obendrein durch den Qualm der Räucherstäbchen nur undeutlich zu sehen.
Als die Hitze zu groß wurde, kehrten sie in ihr Hotel zurück und gaben sich anderen Urlaubsfreuden hin: Sie dinierten in einem Restaurant des Hotels und kosteten exotische Speisen.
»Stark gewürzt«, bemerkte Cyrus. »Bin froh, daß ich meine
Sardinen mitgebracht habe.«
»O Cyrus, doch nicht schon jetzt?«
»Nein, noch nicht«, beruhigte er sie, »aber ich werde heute
abend vorsichtshalber ein oder zwei Dosen im Kameraetui verstauen. Ich bin ein großer Mann«, fügte er unnötigerweise hinzu, »und brauche Protein.« Sie lachte. Später, als sie in ihrem Zimmer zurück waren, lachte sie erneut, als er zwei seiner sechs Sardinendosen aus dem Koffer kramte und sie in die Hülle des Fotoapparats steckte. Sie lächelte immer noch, während sie Ansichtskarten an ihren Sohn Roger schrieb, an ihre Tochter Jane und an ihre alte Nachbarin Miß Hartshorne, doch ihre Gedanken waren nicht ganz bei den heiteren Zeilen, die sie kritzelte. Sie erinnerte sich, daß sie morgen nach Chiang Mai fliegen würden, um einen Mann namens Ruamsak zu treffen, und unwillkürlich fragte sie sich, was dieser Ruamsak wohl in diesem Augenblick dachte und tat und ob er etwa bereits in Chiang Mai auf den Donnerstagvormittag wartete...
3
Ruamsak kam schon früh zu der Hütte hinter der Tha-PaeStraße, doch auf Umwegen: Er kletterte über Mauern - und erschreckte dabei eine Entenschar - und schlich auf Zehenspitzen durch Gemüsebeete, bis er von hinten zu ihr gelangte. Er hatte sich entschieden, nicht in der Hütte zu übernachten, obwohl er dadurch Geld gespart hätte, sondern hatte statt dessen die Nacht in einer Herberge verbracht, die von einem Chinesen geführt wurde. Am Tag zuvor hatte er sich in der Hütte umgesehen und größte Vorsicht walten lassen, obwohl sie leer war. Die Hütte stand auf nicht ganz zwei Meter hohen Pfählen und war aus gespaltenem Bambus und Stroh. Zunächst hatte er sich unter der Hütte verborgen und gelauscht, ob ihm nicht irgend jemand zuvorgekommen war. Jetzt lauschte er wieder und nachdem er einige Minuten lang nichts als das Zirpen eines Geckos vernahm, kletterte er durch das ladenlose Fenster der Rückseite und studierte den Sand, den er tags zuvor bei der Tür und unter allen vier Fenstern verstreut hatte. Niemand war hiergewesen. Er schaute hinter die Bambusabtrennung, die etwa bis zur Mitte des Zimmers verlief, dann setzte er sich mit überkreuzten Beinen dahinter, um zu warten.
Zwei Personen würden im Lauf der nächsten Stunden hierherkommen: Die Unbekannte, der er die Information aushändigen sollte, doch zuvor der Mann, dem er den Brief anvertraut hatte - der Brief war der Beweis all dessen, was er bereits wußte und in seinem Gedächtnis verankert war. Er hatte lange überlegt, wie er diesen Brief am unauffälligsten verbergen könne, und nun fand er, daß es wirklich
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