und das Haus in den Huegeln
Stiefel
gestellt hatte. Ihre Unterwäsche hatte sie, genau wie die anderen Mädchen,
anbehalten. Ihre Kaninchenjacke hing an der Garderobe im unteren Flur.
Sandra öffnete vorsichtig die
Schranktür und nahm ihren Pulli aus dem Wäschefach. Ein Kleiderbügel, den sie
dabei berührte, fing an zu pendeln und klickte metallisch. Sandra hielt den
Atem an. Doch außer Camilla rührte sich nichts im Zimmer. Sandra zog den Pulli
über den Kopf, stieg in ihre Jeans und zog ihre Stiefel an.
Auf Zehenspitzen tastete sie
sich zu ihrem Bett, um ihre Umhängetasche zu holen, die sie über den
Bettpfosten gehängt hatte. Doch sie tastete vergebens danach. Ihre Tasche war
weg. Sie hing auch nicht an den anderen Pfosten ihres Bettes. Jemand hatte die
Tasche an sich genommen, während Sandra schlief.
Starr vor Überraschung stand
Sandra vor dem Bett. Zorn stieg in ihr auf. Sie hatte die Tasche gar nicht
mitnehmen wollen. Es war ihr zu gefährlich erschienen. Denn wenn sie mit der
Tasche im Erdgeschoß angetroffen wurde, würde ihr Vorhaben sofort offenkundig
werden. Ohne die Tasche konnte sie immer noch behaupten, aufgestanden zu sein,
weil sie nicht schlafen konnte. Doch sie brauchte Telefongroschen. Zu dumm von
ihr, daß sie ihre Geldbörse nicht herausgenommen und unter ihrem Kopfkissen
versteckt hatte!
Sandra überlegte fieberhaft.
Camilla wälzte sich noch immer
stöhnend in ihrem Bett.
Und Sandra kam eine Idee: Sie
würde jetzt Lärm schlagen, Camillas wegen. Und verlangen, daß man den Hausvater
weckte und nach einem Arzt für Camilla schickte. Sie würde den Wirbel abwarten,
der dann entstand. Die Sendboten würden zu sehr mit Camilla beschäftigt
sein, um auf Sandra zu achten. Das könnte ihr die Möglichkeit verschaffen, das Weite
zu suchen. Sie würde ins Dorf laufen und im ersten Haus um Hilfe anklopfen.
Doch jemand kam ihr zuvor.
Plötzlich ging das Licht an.
Ein Mädchen stand bei der Tür, ohne daß Sandra bemerkt hatte, daß jemand
aufgestanden war. In allen anderen Betten setzten sich jetzt wie auf ein
Kommando die vermeintlich tief schlafenden Zimmergenossinnen ebenfalls auf und
starrten Sandra an.
„Wo willst du hin?“ fragte das
Mädchen an der Tür.
„Zum Hausvater. Camilla ist
krank“, erwiderte Sandra forsch und ohne sich ihre Verwirrung anmerken zu
lassen.
„Es ist nicht deine Aufgabe,
das zu entscheiden“, rügte die Türsteherin.
„Aber seht ihr denn nicht, wie
schlecht es ihr geht? Camilla braucht einen Arzt. Ihr könnt sie doch nicht so
liegen lassen“, protestierte Sandra wütend.
„Unsere Schwester hat versagt.
Dafür muß sie jetzt leiden. Zieh dich aus und geh wieder zu Bett“, sagte das
Mädchen an der Tür.
Sandra stampfte mit dem Fuß
auf. „Ich denke nicht daran! Wenn ihr nicht sofort den Hausvater verständigt
und dafür sorgt, daß Camilla von einem Arzt behandelt wird, schreie ich so
laut, daß man es bis in den Ort hört!“ drohte sie.
Die Mädchen starrten sie mit
offenen Mündern an. Sie verstanden, daß Sandra ihre Drohung ernst meinte.
Das Mädchen an der Tür drehte
sich um und lief in der Unterwäsche hinaus auf den Flur.
Sandra folgte ihr rasch.
Doch an der Tür wurde sie von
Gefion, dem Mädchen, das im unteren Bett neben der Tür schlief, abgefangen.
„Bleib hier!“ herrschte sie Sandra an.
„Was fällt dir ein? Ich muß zum
Klo“, erwiderte Sandra geistesgegenwärtig.
Gefion ging schweigend neben
Sandra her. Doch als Sandra sich zur Treppe wandte, zerrte Gefion sie am Arm
nach rechts. „Dort ist das Klo.“
Sandra blieb nichts anderes
übrig, als sich zu fügen. Doch sie ließ sich Zeit im Waschraum. Sie hoffte,
Gefion würde es mit ihren nackten Füßen und in ihrer spärlichen Bekleidung zu
kalt auf dem ungeheizten Flur werden, so daß sie ins Bett zurückgehen würde.
Doch als Sandra endlich
geräuschlos die Waschraumtür öffnete, stand Gefion eisern wie ein Haremswächter
davor.
„Willst du nicht auch lieber
vorsichtshalber? Sonst mußt du anschließend noch mal raus. Kalte Füße schlagen
nämlich auf die Blase“, bemerkte Sandra ironisch.
Gefion antwortete ihr nicht.
Als sie in den Schlafsaal
zurückkamen, kniete der Hausvater an Camillas Bett. Er schüttete aus einem
kleinen weißen Papier ein Pulver in ein Glas Wasser — vielleicht war es ein
schmerzstillendes Mittel? — , hielt Camilla das Glas an die Lippen und redete
leise auf sie ein.
Was er sagte, konnte Sandra
nicht verstehen, denn es wurde ihr nicht gestattet, zu Camilla
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