und das Pergament des Todes
bin aufgewachsen in dem Bewusstsein, dass alle um mich herum erwarteten, ich würde einmal ein Anführer sein«, erklärte Bastille. »N ur dass ich nicht besonders gut dafür geeignet bin. Nicht so wie du.«
»I ch bin überhaupt nicht dafür geeignet!«
Sie schnaubte ungläubig. »D u kannst gut mit Leuten umgehen, Smedry. Aber ich, ich will die Leute nicht anführen. Sie gehen mir irgendwie auf die Nerven.«
»D ann hättest du Romanautor werden sollen.«
»D a gefallen mir die Arbeitszeiten nicht«, erwiderte sie. »J edenfalls kann ich dir mit Sicherheit sagen, dass es keinen Unterschied macht, ob du von Kindesbeinen an lernst, was es heißt, Menschen zu führen. Lebenslanges Training macht dir nur bewusst, wie unzulänglich du bist.«
Für eine Weile herrschte Schweigen.
»U nd… was ist passiert?«, fragte ich dann. »W ie bist du letztendlich eine Crystin geworden?«
»M eine Mutter«, erklärte Bastille knapp. »S ie ist nicht adlig, aber sie ist nun mal eine Crystin. Sie hat immer darauf gedrängt, dass ich ein Ritter von Crystallia werden sollte, mit dem Argument, dass mein Vater nicht noch eine nutzlose Tochter unter seine Fittiche nehmen könne. Ich habe versucht, ihr das Gegenteil zu beweisen, aber ich bin von zu edler Abstammung, um irgendetwas Einfaches zu werden, Bäcker oder Tischler zum Beispiel.«
»A lso hast du versucht, ein Okulator zu werden.«
Sie nickte. »I ch habe es niemandem erzählt. Ich hatte natürlich davon gehört, dass okulatorische Fähigkeiten in den Genen liegen, aber ich wollte allen beweisen, dass sie damit falsch liegen. Ich würde der erste Okulator in meiner Familie sein, und dann wären meine Mutter und mein Vater beeindruckt.
Aber, na ja, du weißt ja, wie das endete. Also bin ich doch den Crystin beigetreten, wie meine Mutter es immer verlangt hatte. Ich musste meinen Titel und mein Geld aufgeben. Und jetzt wird mir so langsam klar, wie idiotisch diese Entscheidung war. Als Crystin mache ich mich sogar noch schlechter als zuvor als Okulator.«
Seufzend schlang sie wieder die Arme um die Knie. »D as Tragische ist, dass ich– zumindest für eine gewisse Zeit– dachte, ich wäre wirklich gut darin. Ich habe es schneller zum Ritter geschafft als jemals ein anderer zuvor. Und dann haben sie mich direkt losgeschickt, um den alten Smedry zu beschützen– auf eine der gefährlichsten und schwierigsten Missionen, die es unter den Rittern gibt. Ich weiß bis heute nicht, warum sie das als ersten Job für mich ausgesucht haben. Es ist und bleibt unlogisch.«
»D as wirkt fast so, als hätten sie gewollt, dass du scheiterst.«
Einen Moment lang saß sie wie erstarrt da. »S o habe ich das noch nie gesehen. Aber warum sollte jemand so etwas tun?«
Ich zuckte mit den Schultern. »K eine Ahnung. Aber du musst zugeben, es klingt schon verdächtig. Vielleicht war irgend Typ, der mit der Auftragsvergabe betraut ist, eifersüchtig auf dich, weil du so schnell zum Ritter geschlagen wurdest, und wollte zusehen, wie du versagst.«
»U nd dabei womöglich das Leben des alten Smedry riskieren?«
Wieder zuckte ich mit den Achseln. »D ie Leute tun manchmal seltsame Dinge, Bastille.«
»I ch halte das trotzdem für schwer vorstellbar. Außerdem gehörte meine Mutter zu dem Gremium, das die Aufträge verteilt.«
»S ie scheint nur schwer zufriedenzustellen zu sein.«
Bastille schnaubte. »D as ist noch untertrieben. Als ich die Ritterwürde empfangen habe, meinte sie nur: ›S orge dafür, dass du dieser Ehre gerecht wirst.‹ Ich glaube, sie hat erwartet, dass ich meinen ersten Job vermassele. Vielleicht ist sie deswegen persönlich aufgetaucht, um mich zu holen.«
Ich ging nicht darauf ein, doch irgendwie wusste ich, dass wir denselben Gedanken hatten. Aber es konnte doch nicht Bastilles eigene Mutter gewesen sein, die dafür gesorgt hatte, dass sie scheitern musste, oder? Das schien mir ziemlich abwegig. Obwohl, meine Mutter hatte mir mein Erbe geklaut und mich dann an die Bibliothekare verschachert. So gesehen waren Bastille und ich ein gutes Paar.
Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Wand und blickte nach oben, während meine Gedanken sich von Bastilles Problem entfernten und sich wieder den Dingen zuwandten, die ich ihr anvertraut hatte. Es hatte gut getan, es einmal rauszulassen. Letztendlich hatte es mir dabei geholfen, mir über meine Gefühle klar zu werden. Wenige Monate zuvor hätte es mir schon gereicht, einfach nur normal zu sein. Aber jetzt wusste ich,
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