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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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das Zittern in Paiges Stimme, als sie ihm davon erzählt hatte. Nur eine Sekunde.
    Nicholas trug das Baby ins Schlafzimmer und gab ihm im Dunkeln die Flasche. Max schlief fast sofort ein. Als Nicholas bemerkte, dass die Lippen des Babys sich nicht mehr bewegten, nahm er die Flasche weg und legte Max in die Armbeuge. Nicholas wusste, dass Max sofort wieder aufwachen würde, wenn er versuchen sollte, ihn in seine Wiege zu legen. Vor seinem geistigen Auge sah er Paige, wie sie Max im Bett fütterte und dabei einschlief. Du willst doch sicher nicht, dass er sich daran gewöhnt, hier zu schlafen , hatte er zu ihr gesagt. Er soll doch keine schlechten Angewohnheiten entwickeln. Und dann war sie ins Kinderzimmer gewankt und hatte die Luft angehalten, um das Kind nicht zu wecken.
    Nicholas knöpfte mit einer Hand sein Hemd auf und schob ein Kissen unter den Arm, auf dem Max lag. Dann schloss er die Augen. Er war hundemüde. Sich um Max zu kümmern hatte ihn mehr erschöpft als eine Operation am offenen Herzen. In gewisser Weise war das hier sogar ähnlich. Beides erforderte schnelles Denken sowie ein ungewöhnlich hohes Maß an Konzentration. Aber so gut Nicholas im Operationssaal auch war, von Babypflege hatte er nicht den Hauch einer Ahnung.
    Das war alles Paiges Schuld. Falls sie ihm auf diese Art eine kleine Lektion erteilen wollte, nun, sie würde nicht damit durchkommen. Nicholas kümmerte es nicht, ob er Paige je wiedersehen würde. Nicht, nachdem sie so eine Nummer abgezogen hatte.
    Plötzlich erinnerte er sich daran, wie ihm einmal irgend so ein Rüpel auf dem Schulhof die Lippe aufgeschlagen hatte. Damals war er elf Jahre alt gewesen. Er hatte auf dem Boden gelegen, bis die anderen Kinder gegangen waren, denn sie sollten ihn nicht weinen sehen. Als er später seinen Eltern davon erzählt hatte, hatte seine Mutter ihm die Hand auf die Wange gelegt und ihn angelächelt.
    Und Nicholas würde auch nicht zulassen, dass Paige ihn weinen sah. Und er würde sich auch nicht beschweren oder ungehalten sein. Sie konnten dieses Spiel auch beide spielen. Er würde dasselbe tun, was er damals mit diesem Schläger getan hatte: In den Tagen nach der Schlägerei hatte er ihn so konsequent ignoriert, dass die anderen Kinder irgendwann seinem Beispiel gefolgt waren, und zu guter Letzt war der Junge zu Nicholas gekommen und hatte sich in der Hoffnung bei ihm entschuldigt, so seine Freunde wieder zurückgewinnen zu können.
    Aber natürlich war das nur ein Konflikt unter Kindern gewesen. Aber hier ging es um sein weiteres Leben. Was Paige getan hatte, war einfach nicht zu entschuldigen.
    Eigentlich hatte Nicholas erwartet, dass ihn die düsteren Gedanken an Paige noch lange wachhalten würden. Doch dann schlief er ein, kaum dass sein Kopf das Kissen berührt hatte. Am nächsten Morgen erinnerte er sich nicht mehr daran, wie schnell er eingeschlafen war. Er erinnerte sich auch nicht daran, dass er von seinem ersten Weihnachtsfest mit Paige geträumt hatte, als sie ihm das Kinderspiel Operation! geschenkt und sie stundenlang gespielt hatten. Und er erinnerte sich auch nicht daran, dass er, als die Nacht am kältesten gewesen war, instinktiv seinen Sohn zu sich herangezogen hatte, um ihn zu wärmen.

K APITEL 21
    P AIGE
    Die Kleider meiner Mutter passten nicht. Sie waren an den Beinen zu lang und an der Brust zu eng. Sie waren für jemanden gemacht, der größer und schlanker war als ich. Nachdem mein Vater die alte Truhe mit den Sachen meiner Mutter hervorgeholt hatte, hatte ich jedes muffige Stück Seide oder Baumwolle angefasst, als würde ich meine Mutter selbst berühren. Ich zog mir ein gelbes Neckholder-Top und Seersucker-Shorts an und schaute in den Spiegel. Ich sah in dasselbe Gesicht, das ich immer gesehen hatte. Das überraschte mich. Inzwischen waren meine Mutter und ich uns in meinem Kopf so ähnlich geworden, dass ich irgendwie erwartet hatte, sie zu sehen.
    Als ich wieder in die Küche kam, saß mein Vater am Tisch. »Das ist alles, was ich habe, Paige«, sagte er und hielt das Hochzeitsfoto in die Höhe, das ich so gut kannte. Mein ganzes Leben lang hatte es auf dem Nachttisch meines Vaters gestanden. Auf dem Bild schaute mein Vater meine Mutter an und hielt ihre Hand. Meine Mutter lächelte, doch ihre Augen verrieten sie. Ich hatte dieses Foto jahrelang immer wieder angeschaut und versucht herauszufinden, woran die Augen meiner Mutter mich erinnerten. Mit fünfzehn Jahren wusste ich es. Sie sah aus wie ein Waschbär im

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