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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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die Sterne gerade im Grau der Morgendämmerung verblassten. »Du bist doch wach, oder?«, fragte er mit verschlafener Stimme.
    »Das wusstest du doch«, erwiderte ich. Dad setzte sich, und ich nahm seine Hand und schaute ihn an. Manchmal konnte ich einfach nicht glauben, was er alles für mich getan hatte. Er hatte sich so sehr bemüht.
    »Was wirst du tun, wenn du sie findest?«, fragte er.
    Ich setzte mich auf. »Ich werde vielleicht nie so weit kommen«, antwortete ich. »Immerhin ist das alles schon zwanzig Jahre her.«
    »Oh, du wirst sie finden. Da bin ich sicher«, sagte mein Vater. »Das ist einfach so.« Mein Vater glaubte an das Schicksal, das er die göttliche Weisheit nannte. Soweit es ihn betraf, würde ich May Renault schon finden, wenn Gott das so wollte. »Aber wenn du sie findest, solltest du ihr nichts sagen, was sie nicht unbedingt wissen muss.« Ich starrte ihn an. Ich wusste nicht, was er damit meinte. »Es ist zu spät, Paige«, sagte er.
    Und dann erkannte ich, dass ich während der vergangenen zwei Tage insgeheim dem Wunschtraum nachgehangen hatte, meinen Vater, meine Mutter und mich wieder unter diesem Dach in Chicago vereint zu sehen. Und jetzt wollte mein Vater mir klarmachen, dass das nicht passieren würde. Und ich wusste, dass auch ich es nicht wirklich wollte. Selbst wenn meine Mutter ihre Sachen packte und mir nach Hause folgte, Chicago war nicht länger meine Heimat. Meine Heimat lag Hunderte von Meilen von hier entfernt.
    »Dad«, sagte ich und schob den Gedanken beiseite, »erzähl mir eine Geschichte.«
    Ich hatte die Geschichten meines Vaters nicht mehr gehört, seit ich vierzehn war. Doch jetzt wollte ich eine von diesen Geschichten hören, von starken, irischen Helden voller Witz und Genialität.
    Mein Vater lächelte. »Ich nehme an, du willst eine Liebesgeschichte hören«, sagte er, und ich lachte.
    »Nur dass es keine richtigen irischen Liebesgeschichten gibt«, erwiderte ich. »Sie enden immer in einer Katastrophe.« Die Iren hatten Geschichten für jede Form von Untreue. Cuchulainn – das irische Gegenstück zu Herkules – war verheiratet, verführte aber trotzdem jede Maid in Irland. Angus, der gutaussehende Gott der Liebe, war der Sohn von Dagda, dem Götterkönig, und dessen Geliebter Boann. Dagda hatte Angus gezeugt, als Boanns Ehemann gerade auf Reisen gewesen war. Und Deirdre, die gezwungen werden sollte, den alten König Conchobhar zu heiraten, um einer Prophezeiung entgegenzuwirken, die landesweites Unheil verhieß, floh stattdessen mit einem hübschen, jungen Krieger mit Namen Naoise nach Schottland. Als Kundschafter die beiden Liebenden fanden, ließ Conchobhar Naoise hinrichten und befahl Deirdre, ihn zu heiraten. Sie lächelte nie wieder, und schließlich schlug sie sich selbst den Kopf an einem Felsen zu Brei.
    Ich kannte all diese Geschichten mit ihren Ausschmückungen gut genug, um sie mir selber erzählen zu können, doch plötzlich wollte ich einfach nur unter die Bettdecke in meinem Kinderzimmer kriechen und der melodischen Stimme meines Vaters lauschen, während er mir von den Helden seiner Heimat sang. Also machte ich es mir gemütlich und schloss die Augen. »Erzähl mir die Geschichte von Dechtire«, flüsterte ich.
    Mein Vater legte mir die kühle Hand auf die Stirn. »Das war schon immer deine Lieblingsgeschichte«, sagte er, hob das Kinn und schaute zur Sonne hinaus, die gerade über den Dächern aufging. »Nun, Cuchulainn war kein gewöhnlicher Ire, und seine Geburt war auch alles andere als gewöhnlich. Seine Mutter war eine wunderschöne Frau mit Namen Dechtire, und ihr Haar war so strahlend wie des Königs Gold und ihre Augen grüner als das irische Gras. Sie war mit einem Häuptling in Ulster verheiratet, doch sie war zu schön, als dass sie der Aufmerksamkeit der Götter hätte entgehen können. Und so wurde sie eines Tages in einen Vogel verwandelt, und in dieser Gestalt war sie sogar noch schöner denn zuvor. Sie hatte Federn so weiß wie Schnee, und sie trug einen Kranz, der aus den rosa Wolken des Morgens geflochten war. Nur ihre Augen waren noch immer von dem gleichen, leuchtenden Grün. Mit fünfzig ihrer Dienerinnen flog sie zu einem verzauberten Palast auf einer magischen Himmelsinsel, dort saß sie, umgeben von ihren Frauen, und putzte sich die Flügel.
    Sie war so aufgeregt, dass sie zuerst gar nicht bemerkte, dass sie wieder in eine wundervolle Frau zurückverwandelt worden war. Und sie bemerkte auch nicht Lugh, den Sonnengott,

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