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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Scheinwerferlicht, kurz bevor das Auto ihn überrollte.
    »Dad«, sagte ich und strich über das Bild, »was ist mit ihren anderen Sachen? Mit ihrer Geburtsurkunde, ihrem Hochzeitsring, alten Bildern und so weiter?«
    »Die hat sie mitgenommen. Sie ist ja nicht gestorben. Sie hat ihren Abschied bis ins letzte Detail geplant.«
    Ich schenkte eine Tasse Kaffee ein und bot sie Dad an. Er schüttelte den Kopf. Verlegen rutschte mein Vater auf dem Stuhl herum. Er sprach nur ungern über meine Mutter. Er hatte nicht gewollt, dass ich nach ihr suchte – das war immer klar gewesen. Doch als er gesehen hatte, wie stur ich in diesem Punkt war, hatte er gesagt, er würde für mich tun, was er könne. Trotzdem schaute er mich nicht an, als ich ihm Fragen stellte. Es war fast so, als gebe er sich nach all den Jahren selbst die Schuld an allem.
    »Wart ihr glücklich?«, fragte ich leise. Zwanzig Jahre waren eine lange Zeit, und ich war damals erst fünf gewesen. Vielleicht hatte es hinter verschlossenen Türen ja Streitereien gegeben, von denen ich nichts mitbekommen hatte. Oder vielleicht war es ja sogar zu einer Ohrfeige gekommen, die mein Vater sofort bereut hatte.
    »Ich war sehr glücklich«, antwortete mein Vater. »Ich hätte nie gedacht, dass May uns verlassen würde.«
    Der Kaffee in meiner Hand kam mir plötzlich viel zu bitter vor. Ich goss ihn weg. »Dad«, sagte ich, »warum hast du eigentlich nie versucht, sie zu finden?«
    Mein Vater stand auf und ging zum Fenster. »Als ich noch sehr klein war und wir noch in Irland gelebt haben, hat mein Vater dreimal im Sommer Heu gemacht. Er hatte einen alten Traktor, und er hat immer an einer Ecke des Feldes begonnen und ist immer engere Kreise gefahren bis fast in die Mitte hinein. Dort liefen meine Schwester und ich in das Gras, das dort noch stand, und verjagten die dort zusammengetriebenen Kaninchen. Es waren viele, und sie sprangen schneller, als wir laufen konnten. Einmal – ich glaube, das war in dem Sommer, bevor wir hergekommen sind – habe ich eins am Schwanz gefangen. Ich habe meinem Vater gesagt, ich wolle es als Haustier behalten, und er hat mich ernst angeschaut und mir erklärt, dass sei dem Kaninchen gegenüber nicht fair, denn Gott habe es nicht dafür erschaffen. Trotzdem habe ich dem Kaninchen einen Verschlag gebaut und ihm Wasser, Heu und Karotten gegeben. Am nächsten Tag war es tot. Es lag einfach auf der Seite. Mein Vater kam zu mir und sagte, manche Geschöpfe seien einfach dazu bestimmt, frei zu sein.« Dad drehte sich zu mir um. »Das«, sagte er, »ist der Grund, warum ich nie nach deiner Mutter gesucht habe.«
    Ich schluckte. Ich stellte mir vor, wie es wohl sein würde, einen Schmetterling in der Hand zu halten, wunderschön und geliebt, und zu wissen, dass er trotz deiner Zuneigung in Gefangenschaft langsam, aber sicher stirbt. »Zwanzig Jahre«, flüsterte ich. »Du musst sie so sehr hassen.«
    »Aye.« Mein Vater stand auf und nahm meine Hände. »Ich hasse sie mindestens so sehr, wie ich sie liebe.«
*
    Mein Vater erzählte mir, dass meine Mutter als Maisie Marie Renault in Biloxi, Mississippi geboren wurde. Ihr Vater hatte sich als Farmer versucht, doch sein Land war größtenteils Sumpfland gewesen, weshalb er nie viel Geld gemacht hatte. Er starb bei einem Unfall mit dem Mähdrescher, den die Versicherung stark in Zweifel gezogen hat. Jedenfalls verkaufte Maisies Mutter nach seinem Tod die Farm und brachte das Geld auf die Bank. Sie zog nach Wisconsin und arbeitete in einer Molkerei. Mit fünfzehn Jahren begann Maisie, sich May zu nennen. Sie beendete die Highschool und bekam einen Job in einem Kaufhaus mit Namen Hershey’s, direkt an der Main Street in Sheboygan. Sie hatte den Notgroschen ihrer Mutter aus der Keksdose gestohlen, sich ein Leinenkleid und Alligatorpumps gekauft und dem Personalleiter bei Hershey’s erzählt, sie sei einundzwanzig und habe gerade an der University of Wisconsin ihren Abschluss gemacht. Beeindruckt von Moms coolem Auftreten und ihrer eleganten Kleidung, machten sie sie zur Leiterin der Kosmetikabteilung. Dort lernte sie, wie man Rouge und Make-up auftrug, wie man Augenbrauen machte, auch wenn keine da waren, und wie man Muttermale verschwinden ließ. So wurde Mom zu einer Expertin in der Kunst der Täuschung.
    May wollte, dass ihre Mutter nach Kalifornien umzog. Von der Arbeit an der Melkmaschine waren ihre Hände rissig geworden und ihr Rücken gekrümmt. May brachte Bilder von Los Angeles mit nach Hause,

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