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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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länger liebte. Das wusste ich schon seit dem Tag, als ich mit dem Bus in Richtung Osten gefahren war, um mein neues Leben zu beginnen. Aber ich hatte mich stets gefragt Was wäre, wenn? , sogar noch nachdem ich geheiratet hatte. Dabei war es nicht so, als würde ich Nicholas nicht lieben. Ich war einfach nur davon ausgegangen, dass ein kleiner Teil von mir auch Jake immer lieben würde. Und vielleicht war es ja das, was mich so erschüttert hatte: Nun wusste ich mit Gewissheit, wie sinnlos es war, sich an die Vergangenheit zu klammern. Ich war an Nicholas gekettet, und das würde ich immer sein.
    Ich legte mich auf das Handtuch, das Jake mitgebracht hatte, und tat so, als würde ich schlafen, als er aus dem Wasser stieg und sich tropfend über mich stellte. Ich rührte mich nicht, obwohl ich am liebsten einfach nur durch den heißen Sand davongelaufen wäre, bis ich nicht mehr atmen konnte. Eddie Savoys Worte gingen mir immer wieder im Kopf herum: Ich werde mit den paar Fetzen Wahrheit anfangen. Allmählich begann ich zu verstehen, dass die Vergangenheit die Zukunft zwar färben konnte, aber sie bestimmte sie nicht.
    Als Jakes ruhiges Atmen mir verriet, dass er eingeschlafen war, setzte ich mich auf und schnappte mir meinen Zeichenblock. Ich zeichnete Jakes hohe Wangenknochen, die Röte des Sommers auf seiner Stirn und die goldenen Stoppeln an seiner Oberlippe. Es gab so viele Unterschiede zwischen Jake und Nicholas. Jakes Gesichtszüge strahlten eine ruhige Energie aus, Nicholas’ hingegen Macht. Auf Jake hatte ich eine gefühlte Ewigkeit gewartet, Nicholas wiederum hatte ich in ein paar Tagen gehabt. Wenn ich mir Jake vorstellte, dann sah ich ihn auf Augenhöhe neben mir stehen, obwohl er in Wahrheit einen halben Kopf größer war als ich. Und Nicholas … Nun, mir war Nicholas immer sechs Meter groß erschienen.
    Nicholas war auf einem weißen Hengst in mein Leben geritten, hatte mir sein Herz gereicht und mir einen Palast, ein weißes Ballkleid und einen goldenen Ring angeboten. Er hatte mir gegeben, wovon jedes kleine Mädchen träumt und worauf ich schon Ewigkeiten nicht mehr zu hoffen gewagt hatte. Dabei konnte man ihm wohl kaum zum Vorwurf machen, dass Cinderella nach dem Happyend immer noch die Wäsche machen, das Klo putzen und sich um den Kronprinzen kümmern musste.
    Plötzlich erschien ein Bild von Max vor meinem geistigen Auge. Seine Augen waren weit geöffnet, als er sich vom Bauch auf den Rücken drehte, und ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er erkannte, dass er die Welt plötzlich aus einem ganz neuen Blickwinkel sah. Und erst jetzt verstand ich, was für ein Wunder das für ihn sein musste – und es war besser, ich verstand es spät als nie.
    Ich starrte Jake an, und ich wusste, was der Unterschied war: Mit Jake hatte ich ein Leben ausgelöscht, mit Nicholas hatte ich eines erschaffen.
    Jake öffnete just in dem Augenblick die Augen, als ich mit seinem Porträt fertig war. Er drehte sich auf die Seite. »Paige«, sagte er und senkte den Blick. »Es tut mir leid. Ich hätte das nicht tun sollen.«
    Ich schaute ihn unverwandt an. »Ja, das hättest du nicht tun sollen. Aber es ist schon okay.« Nun, da seine Augen geöffnet waren, zeichnete ich die blassen, glühenden Pupillen und das gestreifte Gold der Iris.
    »Ich musste es einfach sicher wissen«, sagte er. »Ich musste einfach.« Jake zog meinen Block herunter, um sich das Bild anzusehen. »Du bist ja so viel besser geworden«, bemerkte er und strich mit dem Finger über die Zeichenkohle, doch zu leicht, als dass er sie verwischt hätte.
    »Ich bin nur älter geworden«, erwiderte ich. »Da habe ich einfach schon mehr gesehen.« Gemeinsam betrachteten wir die Überraschung, die ich ihm in die Augen gezeichnet hatte, und die erdrückende Hitze wurde von dem weißen Blatt Papier reflektiert. Jake nahm meine Hand und führte meine Finger zu dem Haarwirbel, den ich ihm in den Nacken gezeichnet hatte. Dort war die Silhouette eines sich umarmenden Paars zu erkennen. Und in der Ferne streckte ein Mann die Arme nach der Frau aus, der wie Nicholas aussah, und nach dem Mann griff eine Frau, die Ellens Gesicht besaß.
    »Es ist so gekommen, wie es sein sollte«, sagte Jake.
    Er legte mir die Hand auf die Schulter, und ich fühlte seinen Trost. »Ja«, murmelte ich, »das ist es.«
*
    Wir saßen auf Eddie Savoys Kissen und schauten auf eine fleckige Aktenmappe, die Puzzleteile aus den vergangenen zwanzig Jahren meiner Mutter enthielt.

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