Und dennoch ist es Liebe
Assistenzarzt, und sie gehen durch die Flure der Intensivstation. Ich wusste, dass er hier vorbeikommen würde, auch wenn er auf anderen Etagen zu tun hat, denn er muss nach dem Patienten von heute Morgen sehen. Der Name des Mannes ist Oliver Rosenstein, und er schläft friedlich und atmet im Takt der Monitore. »Wir machen die Patienten kranker, als sie es sind, wenn sie zu uns kommen«, sagt Nicholas zu dem Assistenzarzt. »Und wir machen das bewusst in der Hoffnung, dass es ihnen langfristig besser gehen wird. Das ist einer der Gründe dafür, warum man uns bewundert. Wenn Sie Ihren Wagen reparieren lassen wollen, suchen Sie sich einen guten Mechaniker. Und wenn Sie einem Chirurgen Ihr Leben anvertrauen, dann suchen Sie nach einem Gott.« Der Assistenzarzt lacht und schaut Nicholas an, und es ist offensichtlich, dass er Nicholas für ein mythisches Wesen hält.
Ich frage mich gerade, warum ich Nicholas in den acht Jahren unserer Ehe nie habe arbeiten sehen, da wird er plötzlich über die Lautsprecher ausgerufen. Er murmelt etwas zu dem Assistenzarzt und rennt zur nächstgelegenen Treppe. Der Assistenzarzt verlässt Oliver Rosensteins Krankenzimmer und geht in die andere Richtung davon. Weil ich nicht weiß, wohin ich gehen soll, bleibe ich, wo ich bin: an der offenen Tür des Krankenzimmers.
»Uuuh«, höre ich, und Oliver Rosenstein bewegt sich.
Ich beiße mir auf die Unterlippe. Ich weiß nicht, was ich tun soll, doch dann huscht eine Krankenschwester an mir vorbei ins Zimmer. Sie beugt sich über Oliver und zieht ein paar Schläuche, Kabel und Katheter zurecht. »Sie machen das gut«, tröstet sie Oliver und tätschelt ihm die gelbliche Hand. »Ich werde Ihren Arzt für Sie rufen.« Sie verlässt den Raum genauso schnell, wie sie gekommen ist, und so bin ich die Einzige, die Oliver Rosensteins erste Worte nach der Operation hört: »Es ist nicht leicht«, sagt er kaum hörbar, »nicht leicht, das durchzustehen … Es ist sehr, sehr hart.« Er rollt den Kopf von einer Seite zur anderen, als suche er etwas. Dann sieht er mich und lächelt. »Ellie«, sagt er, und seine Stimme klingt so rau wie Sandpapier. Er hält mich offenbar für jemand anderen. »Ich bin hier, kine ahora «, sagt er. »Für einen WASP ist dieser Prescott ein richtiger Mensch.«
*
Es dauert eine weitere Stunde, bis ich Nicholas wiedergefunden habe, und das auch nur durch Zufall. Ich wandere durch die Etage mit den Aufwachzimmern, als Nicholas plötzlich aus dem Aufzug tritt. Er liest eine Krankenakte und isst einen Cupcake. Eine Krankenschwester lacht ihn an, als er an ihrem Tisch vorbeikommt. »Du wirst der nächste Herzchirurg sein, der mit verstopften Arterien auf dem OP-Tisch landet«, tadelt sie ihn, und Nicholas wirft ihr seinen zweiten, noch verpackten Cupcake zu.
»Wenn du es niemandem erzählst«, sagt er, »gehört der dir.«
Ich staune über diesen Mann, den jeder zu kennen scheint und der so beherrscht und ruhig wirkt. Nicholas, der noch nicht einmal wusste, wo ich die Erdnussbutter aufbewahre, ist im Krankenhaus voll in seinem Element. Es trifft mich wie ein Schlag: Das ist Nicholas’ eigentliches Heim. Und diese Leute sind Nicholas’ wirkliche Familie. Dieser Arzt, von dem jeder eine Unterschrift, einen Rat oder ein tröstendes Wort will, braucht niemanden, besonders mich nicht.
Nicholas steckt das Krankenblatt, das er gelesen hat, in einen Halter an Zimmer 445. Dann geht er hinein und lächelt eine junge Assistenzärztin an, die die Hände in die Taschen gesteckt hat. »Dr. Adams hat mir erzählt, dass Sie für morgen bereit sind«, sagt er zu dem Patienten und zieht sich einen Stuhl ans Bett heran. Ich springe auf die andere Seite der Tür, damit ich ungesehen hineinspähen kann. Der Patient ist ein Mann, ungefähr im Alter meines Vaters, und er hat das gleiche runde Gesicht und den in die Ferne schweifenden Blick. »Lassen Sie mich Ihnen erklären, was wir tun werden, denn ich glaube, Sie werden sich später nicht mehr an viel erinnern«, sagt Nicholas.
Ich kann ihn nicht wirklich hören, aber Gesprächsfetzen dringen zu mir heraus, Worte wie Beatmung, Herzarterien, Intubieren . Der Patient scheint ihm nicht zuzuhören. Er starrt Nicholas mit leicht geöffnetem Mund an, als wäre er Jesus höchstpersönlich.
Nicholas erkundigt sich, ob der Mann noch irgendwelche Fragen hat. »Ja«, sagt der Patient zögernd. »Werde ich Sie morgen sehen?«
»Vielleicht«, antwortet Nicholas, »aber Sie werden dann vermutlich sehr
Weitere Kostenlose Bücher