Und dennoch ist es Liebe
Dunkeln sehe ich die tiefblauen Abdrücke, die seine Finger auf meinem noch immer schmerzenden Fleisch hinterlassen haben.
Nicholas lässt sich auf die Bettkante fallen, als könne er die Last plötzlich nicht mehr tragen. Er beugt sich vor und legt das Gesicht in die Hände. Ich will ihn berühren, um ihm den Schmerz zu nehmen. Als ich ihn anschaue, wünschte ich, ich hätte nie etwas gesagt. Ich strecke die Hand aus, doch Nicholas zuckt vor meiner Berührung zurück. Ego te absolvo . »Vergib mir«, sage ich.
Doch für Nicholas sind diese Worte wie ein brutaler Schlag. Als er den Kopf hebt, sind seine Augen blutunterlaufen und voller Wut. Er starrt mich an und sieht mich als das, was ich wirklich bin. »Gott verdamme dich«, sagt er.
K APITEL 36
N ICHOLAS
Als Nicholas im zweiten Jahr in Harvard studierte, hatten er und sein Zimmergenosse Oakie Peterborough sich betrunken und ihren schlafenden Betreuer im Studentenwohnheim mit Löschschaum vollgespritzt. Man setzte sie ein Jahr auf Bewährung, und danach trennten sich ihre Wege. Nicholas ging in die medizinische Fakultät, während Oakie die Law School besuchte. Noch Jahre bevor Nicholas seine erste Operation durchführte, war Oakie schon Partner in einem Bostoner Rechtsanwaltsbüro.
Nicholas nippt an seinem Limonenwasser und sucht nach Ähnlichkeiten zwischen dem Oakie, den er gekannt hatte, und dem Scheidungsanwalt, der ihm im Restaurant gegenübersitzt. Nicholas hatte ihn angerufen und ein gemeinsames Mittagessen vorgeschlagen, und Oakie hatte sofort geantwortet: »Ja, sicher«, und ihn für den Nachmittag in seinen Terminkalender eingetragen. Nicholas beobachtet, mit welch ruhigem Selbstvertrauen sein alter Zimmergenosse sich die Serviette auf den Schoß legt, und er sieht auch die Gleichgültigkeit in Oakies Augen. »Es ist schön, dich zu sehen, Nicholas«, sagt Oakie. »Es ist schon erstaunlich, dass man in derselben Stadt arbeitet und trotzdem keine Gelegenheit findet, sich mit seinen alten Freunden zu treffen.«
Nicholas lächelt und nickt. Er betrachtet Oakie Peterborough nicht als alten Freund. Das tat er nicht mehr, seit sie beide neunzehn gewesen waren und er Oakie mit der Hand in der Hose seiner Freundin ertappt hatte. »Ich hoffe, du kannst mir ein paar Antworten geben«, sagt Nicholas. »Du hast dich doch auf Familienrecht spezialisiert, nicht wahr?«
Oakie seufzt und lehnt sich zurück. » Familien recht … Welch Euphemismus. Was ich tue, hat nichts mit Familienzusammenhalt zu tun – im Gegenteil. In meinem Fall ist Familien recht ein Widerspruch in sich.« Er starrt Nicholas mit großen Augen an, als er erkennt, worum es geht. »Du fragst mich doch nicht für dich selbst, oder?«
Nicholas nickt, und ein Muskel zuckt in seinem Kiefer. »Ich will alles über Scheidungen wissen.« Nicholas hatte nun schon länger kein Auge mehr wegen dieser Frage zugemacht, doch schließlich war er mit erstaunlicher Klarheit zu einem Entschluss gekommen. Ihm war scheißegal, was die Sache ihn kostete, solange Paige nur aus seinem Leben verschwinden und er Max würde behalten dürfen. Er ist wütend auf sich selbst, dass er sich fast hätte einwickeln lassen, als Paige vergangene Nacht zu ihm ins Schlafzimmer kam. Ihre Berührung, der Veilchenduft ihrer Haut … Einen Augenblick lang hatte er sich in der Vergangenheit verloren und so getan, als wäre sie nie weg gewesen. Fast hätte er ihr die letzten drei Monate verziehen. Und dann hatte sie ihm erzählt, was er ihr nie vergessen würde.
Nicholas beginnt zu zittern, als er sich vorstellt, wie ein anderer Mann ihren Körper berührt und ein fremdes Kind in ihrem Leib heranwächst. Doch er denkt, dass dieser Schock mit der Zeit vergehen wird. Es ist jedoch nicht wirklich die Abtreibung, was ihn so aufregt. Auch wenn er als Arzt, der seine Zeit damit verbringt, Leben zu retten , so eine Entscheidung nicht billigen kann, kann er aber die Motive verstehen. Nein, was ihn wirklich aufregt, ist die Geheimniskrämerei. Auch wenn er Paiges Motive für den Schwangerschaftsabbruch vermutlich nachvollziehen könnte, was er nicht verstehen kann, ist, dass sie ihrem eigenen Mann so etwas verheimlicht hat. Er hätte das Recht gehabt, das zu erfahren. Es mag ja ihr Körper sein, aber es ging immerhin auch um ihre gemeinsame Vergangenheit. Und offensichtlich hatte sie ihm in acht Jahren Ehe nie genug vertraut, um ihm die Wahrheit zu erzählen.
Nicholas hatte den ganzen Morgen damit verbracht, das Bild der um Gnade
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