Und dennoch ist es Liebe
erfüllte meine Erwartungen. Er ließ mich mein altes Selbst so gut vergessen, dass ich Panik bekam und weglief.
Ich habe Ja zu Nicholas gesagt, aber ich habe nicht gewusst, dass ich ihn wirklich heiraten wollte – nicht bis zu dem Abend, als wir nach dem Streit wegen der Hochzeit aus dem Haus seiner Eltern gerannt sind. An jenem Abend habe ich zum ersten Mal erkannt, dass nicht nur ich Nicholas brauchte, Nicholas brauchte auch mich. Irgendwie hatte ich ihn mir immer als Helden vorgestellt, als Teil meines Plans. Doch an jenem Abend war Nicholas unter den Worten seines Vaters ins Wanken geraten und hatte seiner Familie den Rücken zugekehrt. Plötzlich fand der Mann, der die Welt sein Leben lang um den kleinen Finger hatte wickeln können, sich auf unvertrautem Gebiet wieder. Und zu meiner Überraschung war dieses Gebiet die Straße, die ich schon gegangen war. Zum ersten Mal in meinem Leben brauchte jemand meine Erfahrung. Das vermittelte mir ein Gefühl, das ich noch nie gehabt hatte.
Und das war nichts, was einfach so verflog.
Während ich Astrid und Robert für den Rest des Abendessens beobachte, denke ich an alles, was ich über Nicholas weiß. Ich weiß, dass er keinen Tintenfisch, keine Schnecken, keine Muscheln und keine Aprikosenmarmelade isst. Ich weiß, dass er auf der rechten Seite des Bettes schläft und dass, egal was ich tue, das Laken sich auf seiner Seite immer von der Matratze löst. Ich weiß, dass er um Martini einen großen Bogen macht. Ich weiß, dass er seine Boxershorts in der Mitte faltet, damit sie in die Kommode passen. Ich weiß, dass er Regen riechen kann, bevor er da ist, und dass er an der Farbe des Himmels erkennen kann, ob es schneit. Ich weiß, dass niemand ihn je so kennen wird wie ich.
Und ich weiß, dass Nicholas auch viele Fakten über mich aufzählen kann, und trotzdem würden die wichtigsten Wahrheiten fehlen.
*
Vergib mir, Nicholas, denn ich habe gesündigt. Die Worte gehen mir bei jedem Schritt durch den Kopf, der mich weiter von dem Haus der Prescotts wegführt. Ich fahre die Straßen von Brookline hinunter und nehme den vertrauten Weg zu unserem Haus. Die letzte halbe Meile schalte ich die Scheinwerfer aus. Ich will nicht gesehen werden.
Seit achteinhalb Jahren war ich nicht mehr bei der Beichte. Darüber muss ich lächeln. Wie viele Vaterunser würde Vater Draher mir wohl aufgeben, wenn ich ihn um Absolution bitten würde und nicht Nicholas?
Meine erste Beichte habe ich im vierten Schuljahr abgelegt. Die Nonnen hatten uns darauf vorbereitet, und wir warteten in einer Schlange und bekundeten unsere Bußfertigkeit, bevor wir in den Beichtstuhl gingen. Der Beichtstuhl war winzig und braun, und er vermittelte mir ein beklemmendes Gefühl. Ich hörte Vater Draher durch das Metallgitter atmen, das uns voneinander trennte. Bei diesem ersten Mal habe ich gesagt, dass ich den Namen des Herrn auf unheilige Art ausgesprochen hätte und dass ich mich mit Margaret Riordan um den letzten Schokoriegel in der Cafeteria gestritten hatte. Doch als Vater Draher nichts darauf sagte, begann ich, Sünden zu erfinden: dass ich beim Buchstabierwettbewerb geschummelt hätte; dass ich meinen Vater angelogen und dass ich unreine Gedanken hätte. Letzteres ließ Vater Draher husten, und damals wusste ich noch nicht, warum, denn ich hatte keine Ahnung, was ein unreiner Gedanke war. Das war einfach nur eine Phrase, die ich einmal im Fernsehen gehört hatte. »Zur Buße«, sagte er, »wirst du ein Vaterunser und drei Ave-Marias sprechen.« Und damit war die Sache erledigt, und ich konnte noch mal von Neuem beginnen.
Im Haus brennt kein Licht, noch nicht einmal in Nicholas’ Arbeitszimmer. Dann erinnerte ich mich daran, was Astrid gesagt hatte. Nicholas versuchte gerade, mal eine Nacht durchzuschlafen. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Vielleicht sollte ich das ein andermal tun, aber ich will es auch nicht länger hinausschieben.
Ich stoße mit dem Zeh an Max’ Lauflernwagen, der in einer Ecke des Flurs steht. Geräuschlos steige ich die Treppe hinauf und schleiche auf Zehenspitzen am Kinderzimmer vorbei und zu unserer Schlafzimmertür. Sie steht offen. So kann Nicholas besser hören, wenn Max schreit.
Das ist mein Plan: Ich werde mich auf die Bettkante setzen und Nicholas anstupsen, damit er aufwacht. Ich werde ihm alles sagen, was er schon von Anfang an hätte wissen sollen, und ich werde ihm sagen, dass ich nicht länger schweigen könne, und dann werde ich gehen, damit er darüber
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