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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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meine Mutter in der kalten Luft vor dem geöffneten Kühlschrank stehen und mit dem blauen Glaskrug winken. »Was ist denn so schwer daran, mal ein wenig Limonade anzurühren, verdammt?«, brüllte sie dann und starrte mich an. »Was soll ich denn mit den paar Tropfen noch anfangen?«
    Dieser an sich unbedeutende Umstand entwickelte sich jedoch rasch zu einer Krise, und wenn ich älter gewesen wäre, hätte ich es vielleicht als Symptom weit schwerwiegenderer Probleme identifiziert. Doch ich war erst fünf. Ich folgte meiner Mutter, die die Treppe hinunterstapfte, um meinen Vater in der Werkstatt mit seiner Sünde zu konfrontieren. Sie schrie, wedelte mit dem Krug in der Luft herum und fragte sich laut, womit sie nur so ein Leben verdient hatte.
    Als ich fünf wurde, verstand ich das erste Mal, was der Muttertag eigentlich bedeutete. Ich hatte auch in den Jahren zuvor schon Karten gebastelt, klar, und ich nehme an, ich habe auch mal meinen Namen auf ein Geschenk gemalt, das mein Vater gekauft hatte. Doch in diesem Jahr wollte ich meiner Mutter etwas geben, das von Herzen kam. Mein Vater schlug vor, ihr ein Bild zu schenken und dazu eine Schachtel selbstgemachter Bonbons, aber das war nicht die Art von Geschenk, das ich meiner Mutter machen wollte. Diese Dinge hätten meine Mutter sicher gefreut, doch schon mit fünf wusste ich, dass sie etwas brauchte, um ihr den schlimmsten Schmerz zu nehmen.
    Und ich wusste auch, dass ich ein As im Ärmel hatte: einen Vater, der alles machen konnte, was meine Fantasie heraufbeschwor. Eines Abends, Ende April, setzte ich mich auf die alte Couch in seiner Werkstatt, zog die Knie hoch und legte das Kinn darauf. »Daddy«, sagte ich, »ich brauche deine Hilfe.« Mein Vater klebte gerade Gummipaddel an ein Zahnrad für eine Maschine, die Hühnerfutter dosieren sollte. Er hörte sofort auf zu arbeiten, drehte sich zu mir um und schenkte mir seine volle Aufmerksamkeit. Er nickte bedächtig, während ich ihm meine Idee erklärte. Ich brauchte eine Erfindung, die melden sollte, wann die Limonade im Kühlschrank nachgefüllt werden musste.
    Mein Vater beugte sich vor und nahm meine Hände. »Bist du sicher, dass deine Mutter so etwas haben will?«, fragte er. »Nicht vielleicht eine schöne Bluse oder Parfüm?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie will etwas …« Meine Stimme verhallte, als ich nach den richtigen Worten suchte. »Ich glaube, sie möchte etwas, damit es ihr nicht mehr so wehtut.«
    Mein Vater schaute mich so intensiv an, dass ich glaubte, er erwarte von mir, noch mehr zu sagen. Doch dann drückte er meine Hände und beugte sich näher zu mir heran, bis wir uns an der Stirn berührten. Als er sprach, roch ich seinen süßen Atem, der nach Kaugummi roch. »So«, sagte er, »du hast es also auch bemerkt.«
    Dann setzte er sich neben mich auf die Couch und hob mich auf seinen Schoß. Er lächelte, und dieses Lächeln war so ansteckend, dass ich spürte, wie meine Beine unwillkürlich zu wippen begannen. »Ich denke da an einen Sensor«, sagte er, »verbunden mit einer Art Alarm.«
    »Oh, Daddy, ja!«, rief ich. »Ein Alarm, der immer weiter klingelt und dich nicht eher weglässt, bis du den Krug nachgefüllt hast.«
    Mein Vater lachte. »Ich habe noch nie etwas erfunden, das mir zusätzliche Arbeit macht, statt sie mir abzunehmen.« Er nahm mein Gesicht in die Hände. »Aber es ist es wert«, sagte er. »Aye, es ist es wert.«
    Mein Vater und ich arbeiteten zwei Wochen lang ununterbrochen, immer nach dem Abendessen, bis ich ins Bett musste. Wir liefen in die Werkstatt und probierten alle möglichen Klingeln, Hupen, elektronischen Sensoren und Mikrochips aus, die auf unterschiedliche Feuchtigkeitsgrade reagierten. Von Zeit zu Zeit klopfte meine Mutter an die Tür, die in den Keller führte. »Was macht ihr zwei da?«, rief sie. »Ich bin hier oben so allein.«
    »Wir machen ein Frankensteinmonster!«, rief ich dann zurück und sprach das lange, seltsame Wort so aus, wie mein Vater es mich gelehrt hatte. Gleichzeitig schlug mein Vater mit dem Hammer auf alles Mögliche in der Werkstatt und veranstaltete einen Höllenlärm. »Das ist eine furchtbare Sauerei hier unten, May«, rief er, und Lachen schlich sich in seine Stimme. »Überall Hirn und Blut. Das willst du bestimmt nicht sehen.«
    Sie musste es gewusst haben. Immerhin kam sie nie herunter, auch wenn sie das sanft angedroht hatte. Meine Mutter war in dieser Hinsicht wie ein Kind. Sie versuchte nie, vor Weihnachten

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