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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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makellosen Küche auf den Rücken und stellte mir Täler voller Rhododendren vor und die üppigen Parks und Canyons, in denen Guanakos, Seraus und Pandas lebten. Ich stellte mir vor, unter freiem Himmel in der Kalahari zu schlafen und dem fernen Donner von galoppierenden Antilopen, Kaffernbüffeln und Elefanten zu lauschen. Ich dachte über dieses Baby nach, das mich Tag für Tag mehr niederdrückte, und ich tat so, als wäre ich irgendwo anders.
    Mein Baby war acht Zoll lang. Er konnte lächeln. Er hatte Augenbrauen und Wimpern, und er lutschte am Daumen. Und er hatte seine eigenen Finger- und Fußabdrücke. Seine Augen war noch geschlossen. Geduldig warteten sie darauf, endlich sehen zu können.
    Ich wusste alles über dieses Baby, was man wissen konnte. Ich hatte so viele Bücher über Schwangerschaft und Geburt gelesen, dass ich bestimmte Abschnitte auswendig kannte. Ich wusste, woran man falsche Wehen erkennen konnte. Ich lernte Begriffe wie ›Dilatation‹ und ›Primiparae‹. Manchmal glaubte ich wirklich, wenn ich alles über Schwangerschaft und Geburt lernte, was es zu lernen gab, würde das die Defizite schon wiedergutmachen, die ich als Mutter haben würde.
    Mein dritter Monat war der schlimmste gewesen. Nach den ersten paar Episoden wurde mir zwar nicht mehr übel, aber all die Dinge, die ich in dieser Zeit lernte, drehten mir den Magen um und verschlugen mir den Atem. In der zwölften Woche war mein Baby zweiunddreißig Zentimeter groß gewesen und hatte ungefähr siebzig Gramm gewogen. Es hatte fünf Finger mit Schwimmhäuten und Haarfollikel. Es konnte treten und sich bewegen. Und es hatte ein winziges Gehirn, das Botschaften senden und empfangen konnte. Ich verbrachte in jenem Monat viel Zeit mit den Händen auf dem Unterleib, als könne ich meinen Sohn so festhalten. Denn vor langer, langer Zeit hatte ich schon einmal ein Kind getragen, das zwölf Wochen alt gewesen war. Ich versuchte, die beiden nicht miteinander zu vergleichen, doch das war unvermeidlich. Aber ich redete mir ein, mich glücklich schätzen zu können, dass ich damals all diese Fakten noch nicht gekannt hatte.
    Dass ich damals eine Abtreibung hatte vornehmen lassen, lag daran, dass ich zum Muttersein noch nicht bereit gewesen war. Ich hätte dem Kind einfach nicht die Art von Leben geben können, das es verdient hätte. Und eine Adoption wäre auch keine Alternative gewesen, da ich die Schwangerschaft dann komplett hätte durchstehen müssen, und diese Schande hätte ich meinem Vater nicht antun können. Sieben Jahre später hatte ich mich beinahe selbst davon überzeugt, dass all das gute Gründe gewesen waren. Doch manchmal saß ich in meiner gerstenweißen Küche, strich mit den Fingern über die Hochglanzfotos in den Reiseprospekten und fragte mich, ob heute wirklich alles anders war. Ja, ich hatte die Mittel, ein Kind großzuziehen. Ich konnte es mir leisten, helle, skandinavische Möbel und ein Mobile fürs Kinderzimmer zu kaufen. Aber zwei Dinge sprachen auch gegen mich: Ich hatte nach wie vor keine Mutter, die mir als Modell hätte dienen können. Und ich hatte mein erstes Kind getötet.
    Ich stand auf, und mein Bauch stieß gegen die Tischkante. Ich zuckte vor Schmerz zusammen. Mein Bauch war rund und steinhart, und er schien eine Million Nervenenden zu haben. Mit meinem Körper, der nun Rundungen hatte, wo vorher nie welche gewesen waren, stellte ich eine einzige, große Gefahrenquelle dar. Ich blieb an engen Stellen hängen, sei es in Bussen oder im Restaurant zwischen zwei dicht beieinanderstehenden Stühlen. Ich konnte einfach nicht mehr abschätzen, wie viel Platz ich brauchte, doch ich zwang mich zu glauben, dass sich das mit der Zeit ändern würde.
    Rastlos zog ich meine Stiefel an und ging auf die Veranda hinaus. Es regnete, doch das kümmerte mich nicht wirklich. Heute war mein einziger freier Tag in der Woche. Nicholas war im Krankenhaus, und ich musste einfach irgendwo hingehen auch wenn es nicht Borneo oder Java sein konnte. Überhaupt hatte ich ständig das Bedürfnis, mich zu bewegen. Ich wälzte mich die ganze Nacht im Bett herum und schlief niemals acht Stunden am Stück. Auf der Arbeit lief ich hinter dem Tresen auf und ab, und wenn ich mich zum Lesen hinsetzte, dann flatterten meine Finger.
    Ich zog mir den Mantel über und machte mich auf den Weg die Straße hinunter. Ich ging immer weiter, bis ich das Zentrum von Cambridge erreichte. Ich stand unter dem Plexiglasdach des Busbahnhofs neben einer

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