Und dennoch ist es Liebe
einen Blick auf die Geschenke zu erhaschen, und sie vermied es auch, Gesprächen zu lauschen, die ihr etwas verraten konnten. Sie liebte Überraschungen.
Am Abend vor Muttertag war der Limonadensensor fertig. Mein Vater füllte ein Wasserglas, steckte den kleinen, silbernen Stab hinein und saugte dann langsam die Flüssigkeit ab. Als weniger als ein Zoll übrig war, begann der Stab zu piepen. Es war ein hoher, schriller Ton, richtig nervig, denn wir glaubten, nur so könnten wir jemanden zwingen, den Krug wieder aufzufüllen. Und um das noch zu unterstützen, blinkte die Stabspitze blutrot und warf Schatten auf meine und die Finger meines Vaters, während wir das Glas festhielten.
»Das ist perfekt«, flüsterte ich. »Das wird alles wieder in Ordnung bringen.« Ich versuchte, mich an eine Zeit zu erinnern, als meine Mutter nicht jeden Tag um vier Uhr von ihrem eigenen Schatten ins Schlafzimmer gejagt worden war. Ich versuchte, mich an die Wochen zu erinnern, als sie noch nicht auf die verschlossene Haustür gestarrt hatte, als erwarte sie den heiligen Petrus.
Die Stimme meines Vaters riss mich aus meinen Gedanken. »Oder es wird wenigstens ein Anfang sein«, sagte er.
An diesem Sonntag verließ meine Mutter nach der Messe das Haus. Kaum war sie aus der Tür, da holten wir das gute Geschirr aus dem Schrank und deckten einen festlichen Tisch. Um sechs Uhr schwamm der Fasan, den mein Vater gemacht hatte, in seinem eigenen Saft, die grünen Bohnen dampften, und der Limonadenkrug war voll.
Eine halbe Stunde später rutschte ich nervös auf meinem Stuhl herum. »Ich habe Hunger, Daddy«, jammerte ich. Um sieben Uhr ließ mein Vater mich im Wohnzimmer Fernsehen schauen. Als ich die Küche verließ, sah ich, wie er die Ellbogen auf den Tisch stützte und das Gesicht in den Händen vergrub. Um acht hatte er alle Spuren des Essens weggeräumt, auch das schön verpackte Geschenk, das wir meiner Mutter auf den Stuhl gelegt hatten.
Er brachte mir einen Teller Fleisch, doch ich hatte keinen Hunger mehr. Das Fernsehen lief, aber ich wälzte mich auf der Couch und vergrub das Gesicht in den Kissen. »Wir hatten doch ein Geschenk und alles«, sagte ich, als mein Vater mich an der Schulter berührte.
»Sie ist bei einer Freundin«, sagte er, und ich hob den Kopf und schaute ihn an. Soweit ich wusste, hatte meine Mutter keine Freundinnen. »Sie hat mich gerade angerufen, um mir zu sagen, dass es ihr leidtue, es nicht rechtzeitig geschafft zu haben, und dass ich dem schönsten Mädchen in Chicago einen Gutenachtkuss von ihr geben soll.«
Ich starrte meinen Vater an, der mich noch nie im Leben angelogen hatte. Wir wussten beide, dass das Telefon den ganzen Tag lang nicht geklingelt hatte.
Mein Vater badete mich, kämmte mein verknotetes Haar und half mir in mein Nachthemd. Dann brachte er mich ins Bett und saß bei mir, bis er glaubte, dass ich eingeschlafen war.
Aber ich war wach. Ich wusste genau, wann meine Mutter durch die Tür kam, und ich hörte, wie mein Vater sie fragte, wo zum Teufel sie gesteckt hätte. »Es ist ja nicht so, als wäre ich verschwunden«, erwiderte meine Mutter. Ihre Stimme klang wütender und lauter als die meines Vaters. »Ich brauchte einfach nur ein wenig Zeit für mich selbst.«
Ich erwartete Gebrüll, doch stattdessen hörte ich das Rascheln von Papier, als mein Vater meiner Mutter ihr Geschenk gab. Ich hörte das Papier reißen und dann, wie meine Mutter laut nach Luft schnappte, als sie die Muttertagskarte las, die ich meinem Vater diktiert hatte: Das ist, damit wir es nicht wieder vergessen. In Liebe, Patrick. In Liebe, Paige.
Noch bevor ich ihre Schritte hörte, wusste ich, dass sie zu mir kam. Sie warf die Tür auf, und vor dem Licht im Flur konnte ich ihre Silhouette zittern sehen. »Ist schon okay«, sagte ich zu ihr, obwohl es nicht das war, was ich zu sagen geplant hatte. Mom hockte sich ans Fußende des Bettes, als erwarte sie einen Richterspruch. Da ich nicht wusste, was ich tun sollte, schaute ich sie einen Moment lang einfach nur an. Sie hatte den Kopf gesenkt, als würde sie beten. Ich verhielt mich vollkommen still, bis ich es nicht mehr aushielt, und dann tat ich das, was ich eigentlich von ihr erwartet hatte. Ich schlang die Arme um meine Mutter und hielt sie fest, als wolle ich sie nie mehr loslassen.
Dann erschien mein Vater in der Tür. Er erwiderte meinen Blick, als ich ihn über den dunklen, gebeugten Kopf meiner Mutter hinweg anschaute. Er versuchte, mich anzulächeln,
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