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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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offen halten, und meine Glieder waren schwer wie Blei. Ich war sicher, einzuschlafen, mit dem Kopf auf den Boden zu knallen und nie mehr aufzuwachen. Ich blinzelte oft, sah aber nichts, bis Max’ Saugen nachließ und ich nach einer Schwester rufen konnte.
    Der quietschende Stubenwagen war noch nicht ganz aus dem Zimmer gerollt worden, da sank ich schon wieder auf mein Kissen zurück. Erneut nahm das Gesicht meiner Mutter vor meinem geistigen Auge Gestalt an. Ich war zwei, vielleicht drei Jahre alt. Es war ihr Geburtstag, und mein Vater hatte ihr eine Pflanze geschenkt. Sie war groß und grün und steckte in einem Plastiktopf, und sie trug Orangen. Als ich Mom die Pflanze überreichte – das war immer mein Job –, las sie die Karte laut vor, obwohl ich die einzige andere Person in der Küche war. »Happy Birthday, May«, las sie. »Ich liebe dich.« Sie war nicht unterschrieben … nahm ich zumindest an, denn meine Mutter las sonst nichts mehr vor. Sie küsste Dad, und er lächelte und ging in die Werkstatt hinunter.
    Nachdem er gegangen war, legte Mom die Karte auf die Arbeitsplatte und gab mir die Pflanze zum Spielen. »Was soll ich denn mit einer Pflanze?«, fragte sie. Sie sprach immer mit mir wie mit einem Erwachsenen. »Er weiß doch, dass ich alle Pflanzen umbringe.« Sie griff in das oberste Kühlschrankfach, in den nie benutzten Eiskübel, und holte ihr verbotenes Päckchen Zigaretten hervor. Mein Vater wusste nicht, dass sie rauchte. Ich hingegen wusste das sogar schon als Baby, denn Mom gab sich große Mühe, ihre Zigaretten zu verstecken, und beim Rauchen war ihr das schlechte Gewissen deutlich anzusehen. Ich weiß nicht, warum sie das Rauchen vor Dad geheim hielt. Vielleicht war das ja nur ein Spiel für sie wie so vieles andere auch.
    Mom nahm sich eine Zigarette aus dem zerknitterten Päckchen, zündete sie an und nahm einen tiefen Zug. Beim Ausatmen schaute sie mich an. Ich saß mit meinen Bauklötzen und meiner Lieblingspuppe auf dem Linoleumfußboden. Die Puppe war aus Stoff und hatte Reißverschlüsse, Knöpfe und alles, was sonst noch zu richtiger Kleidung dazugehörte. Ich konnte alles, nur keine Schnürsenkel binden. Zigarettenasche fiel auf meine Puppe. Ich schaute nach oben und sah einen perfekten roten Ring auf dem Filter, den der Lippenstift meiner Mutter hinterlassen hatte. »Zwei Wochen«, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf den Orangenbaum. »Das Ding ist in zwei Wochen tot.« Sie drückte die Zigarette in der Spüle aus und seufzte. Dann zog sie mich an den Händen hoch. »Schau mal her, mein kleines Pagenmädchen«, sagte sie und benutzte meinen Spitznamen. »Ich bin nicht gut darin, mich um Dinge zu kümmern«, flüsterte sie mir verschwörerisch ins Ohr, und dann begann sie, vor sich hin zu summen. »Superkalifragilistischexpiallegetisch«, sang sie und wirbelte mich dabei herum. Ich kicherte, als wir die Spuren des Rauchens hinunterspülten. Und jetzt fragte ich mich, wie viel ich wohl über meine Mutter wusste, wovon mein Vater keine Ahnung hatte.
    Das Quietschen der Stubenwagenräder hallte in meinem Kopf wider, und ich wusste, dass Max kam, lange bevor die Krankenschwester in der Tür erschien. Er schrie aus vollem Hals. »Mannomann«, bemerkte die Krankenschwester. »Schwer zu glauben, dass wir uns vor wenigen Stunden noch Sorgen um seine Lunge gemacht haben.« Sie hob meinen Sohn aus dem Wagen und hielt ihn mir hin. Einen Augenblick lang streckte ich nicht die Hände nach ihm aus. Stattdessen starrte ich dieses gierige Ding wütend an, das mich nun schon zum zweiten Mal in dieser Nacht von dem Einzigen weggeholt hatte, was mir von meiner Mutter geblieben war.

K APITEL 14
    P AIGE
    Weil Gott mich bestrafen wollte, erhörte er meine Gebete. Ich verbrachte ein ganzes Jahr in Jakes Armen, lange genug, um zu glauben, ich gehöre wirklich dorthin. Und ich verbrachte viele Abende bei den Flanagans und klatschte mit, während Jakes Vater alte gälische Lieder zum Besten gab und die kleineren Kinder dazu hüpften und tanzten. Dann wurde ich an der RSID angenommen, und Jake führte mich zur Feier des Tages zum Abendessen aus. Später in jener Nacht, als unsere Körper in der Hitze des Augenblicks umeinandergeschlungen waren, sagte Jake zu mir, er würde auf mich warten, bis ich mit dem College fertig sei, notfalls sogar sein ganzes Leben.
    Im Mai streckte mich die Grippe nieder. Das war seltsam, denn der Virus ging schon seit Anfang Januar nicht mehr in der Schule um. Trotzdem hatte

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